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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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tönten, daß er sich nicht mehr einzureden vermochte, es seien seine eigenen. Dann schaute er sich um, verursachte so erneut Getöse, daß er noch einmal zusammenfuhr und jetzt zu Stein erstarrte und wartete, bis die Stille sich wieder wie ein dröhnender Ring um seinen Kopf schloß und seine Ohren mit dem rauschenden Anprall füllte, der weder tief noch hoch war, sondern nur spürbar als ein gleichbleibender Druck, der ihn ganz durchzog, der ihn hielt und nicht verlorengehen ließ in dieser nach allen Weltenden offenen Nacht; sosehr er aufgehoben war in diesem Druck der Stille, sosehr mußte er der nächsten Explosion entgegenfürchten. Dann diese Schritte dicht vor seiner Tür! Es klopfte. Sein Blut schlug mit Hämmern gegen seine Schläfen. Er schluckte zweimal, richtete sich langsam auf und sagte mit äußerster Anstrengung: »Ja, bitte.« (Er war bereit zu sterben.)
     Ein junger Mann stand unter der Tür, ein paar Jahre älter als Hans, ein schwerer Körper, rund, ohne jede Gliederung, eine wüste Windjacke hing über allem, kein Hals, ein riesiger Kopf direkt auf den sich hochwölbenden Schultern, die farblosen Haare lagen überall auf, wuchsen schon wieder aufwärts, und das Gesicht hörte nirgends auf. Diese Körpermasse war nicht Wohlgenährtheit. Hans sprang auf. Der andere trat näher. Mit ungleichen Schritten. Hob er den rechten Fuß, so machte das ihm so viel Mühe, daß der Oberkörper nach vorne knickte. Also Herr Klaff. Da sagte er es auch schon: »Berthold Klaff«. Hans nannte seinen Namen und räumte die Bücher vom Stuhl, verteilte sie aber so auf die anderen, daß der Besucher nicht mehr erkennen sollte, mit welcher Art Lektüre Hans die Nacht hinbrachte. Klaffs Augen zeichneten, bevor sie einen Augenblick in Hans’ Gesicht Ruhe fanden, Blitzlinien durchs Zimmer. Sie fuhren im Raum herum wie der Strahl eines Leuchtturmscheinwerfers, der immer hastiger nach einem Ertrinkenden sucht, der in der Nahe des Turms mit den Wellen kämpft. Es war schwer, Berthold Klaff gegenüberzusitzen. Hans tat, als schmerze ihn einer seiner Handrücken, als müsse er mit mikroskopischen Augen nach der Ursache dieses Schmerzes forschen. Klaff hatte keine Einleitung gesucht. Er habe gehört, daß Hans einen Pressedienst herausgebe. Er sei Schriftsteller. Natürlich habe er auch schon als Journalist gearbeitet. Vielleicht brauche Hans einen Mitarbeiter. Vielleicht einen Kritiker für den Funkteil. Er höre jeden Tag Radio. Seinen Job als Pförtner beim Staatstheater habe er verloren. Nun habe er Zeit. Und beim Funk habe er bis jetzt ein einziges Manuskript verkauft. Die wollten nichts mehr von ihm.
     Klaff bat nicht. Er schlug vor, forderte fast, ließ Hans keine Wahl. Er pries sich nicht überschwenglich an, dazu waren seine Sätze viel zu trocken, vor allem viel zu kurz. Aber Hans schien es, als habe er gar keine andere Möglichkeit als ja zu sagen. Klaff hatte so gesprochen, daß die Vorstellung, es folge jetzt eine freundliche Ablehnung mit langatmigen Begründungen, gar nicht erst auftauchen konnte. Dieses fahle, fast bläulich schimmernde Gesicht hing vor Hans, als entferne es sich nie wieder. Forderung, Endgültigkeit und Schwere, das war Klaff. Und seine Forderungen begründete er damit, daß er nicht freiwillig gekommen sei. Er habe alles versucht.
     Hans würde mit Herrn Volkmann sprechen. Auf die Dauer konnten er und Anne sowieso nicht alles allein schreiben.
     Klaff empfahl, Hans möge in den nächsten Tagen sein Hörspiel anhören, das ein Dramaturg aus Versehen angenommen habe. Vor Jahren schon. Der arme Mann sei natürlich inzwischen längst geflogen; wenn einem auch solche Versehen passierten! Sie hätten’s auch immer wieder hinausgeschoben, aber jetzt komme es tatsächlich. Im Nachtprogramm natürlich. Hans versprach, eine Kritik über Herrn Klaffs Stück zu schreiben. Klaff lächelte. Hans kam sich so leicht vor, daß er fürchtete, er müsse gleich wegfliegen, ein Luftballon, der an der Lampe zerplatzen würde.
     Ihm waren einige Bedenken gekommen, als er sich vorgestellt hatte, daß er Herrn Volkmann Klaffs Kritiken vorlegen sollte. Die erste Klärung erfolgt, als Herr Volkmann die Kritik las, die Hans über Klaffs Hörspiel geschrieben hatte. Wenn er schon Nachtprogramme kritisiere, dann müsse er dies auch richtig tun und diesen »Schwärmern nach zehn« (so nannte er alle, die mit Nachtprogrammen zu tun hatten) einmal zeigen, wie sie sich bei Tageslicht ausnähmen. Hans hatte einen Hymnus

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