Ehen in Philippsburg
auf Berthold Klaff geschrieben. »Die Kleider eines Herrn« hieß das Stück. Ein reicher Mann hat Feinde, erfährt von einem Anschlag, der auf ihn geplant ist, geht in die Vorstadt, holt einen Bettler von der Straße, lädt ihn in sein Haus, bewirtet ihn einen ganzen Tag fürstlich, erfüllt ihm jeden Wunsch, läßt ihn abends sogar mit seiner Sänfte heimtragen, kleidet den Armen dazu auch noch in seine eigenen, des reichen Mannes Gewänder, die schenke er ihm zur Erinnerung an diesen Tag. Die Träger bekommen den Auftrag, den Weg zu nehmen, den der Herr selbst hätte heute nehmen wollen, den Weg, auf dem ihm, wie er erfahren hatte, aufgelauert werden sollte. Die Mörder töten den Bettler. Der Reiche verläßt noch in der gleichen Nacht die Stadt und das Land und bringt sich und seine Habseligkeiten in Sicherheit.
Es war die längste Kritik geworden, die Hans bis jetzt geschrieben hatte. Herr Volkmann wollte sie nicht haben. Hans begann sich zu verteidigen, zum ersten Mal wider sprach er Herrn Volkmann mit seiner ganzen Person. Herr Volkmann lächelte, strich ein paar Zeilen, in denen Hans geschrieben hatte, daß es auch heute noch so sei… dann gab er nach. Hans war froh, daß ihm so wenigstens Gelegenheit gegeben war, Klaff öffentlich zu feiern, und verzichtete deshalb auf die paar Zeilen. Aber als er dann Herrn Volkmann Klaffs kritische Proben vorlegte und gar davon sprach, daß er ihn als ständigen Mitarbeiter beschäftigen wolle, da erfroren die Schmunzelfältchen in Herrn Volkmanns Gesicht, und er lehnte rundweg ab. Herr Klaff sei ein Künstler und habe also keinen Sinn für die Notwendigkeiten des wirklichen Lebens. Herr Klaff könne allen falls zum Ausdruck bringen, was ihn selbst bewege und was er leide; das sei ihm gegönnt, bitte, aber ein solcher Einzelgänger, der wahrscheinlich überhaupt keine realisierbare Vorstellung von einer besseren Verfassung der Gesellschaft habe, der könne nicht zum Kritiker taugen.
Eine so lange Rede hatte Herr Volkmann noch nie gehalten. Hans sah, daß vorerst nichts zu machen war. Er würde Klaff unter einem anderen Namen anbieten, vorher aber mit ihm sprechen, ihn bitten, nicht gar so schroff zu urteilen, nicht gar so sehr auf sich selbst zu bestehen, weil er ihm sonst beim besten Willen keinen Verdienst verschaffen könne.
Hans gestand sich ein, daß er Herrn Klaff diesen Mißerfolg ein bißchen gönnte. Er selbst hatte sich ja auch beugen müssen. Er hätte ja auch manchmal Lust verspürt, zu sagen und zu schreiben, was er dachte, aber man war schließlich nicht allein auf der Welt, und es war schon ein bißchen naseweis und hochmütig, wenn man immer nur sich selbst zum Maßstab machte und die anderen für zurückgebliebene oder korrupte Dummköpfe hielt, deren Schädel besser zur Wohnung für Insektenvölker als zur Beherbergung eines menschlichen Gehirns taugen würden. Da wäre ja jeder, der sich fügte, der sich Zwang auferlegen ließ, ein Idiot, wenn andere jede Freiheit für sich beanspruchen durften! Natürlich bewunderte er Herrn Klaff, natürlich wollte er ihm helfen, diesem undurchdringlichen Dachstubenbewohner, der zwar ihm nicht so unheimlich war wie der Frau Färber, aber Freundschaft war zwischen ihnen auch nicht möglich; Klaff war kalt, hatte nichts übrig für andere; Hans bewies sich, daß Klaff für ihn nicht das getan hätte, was Hans mit ehrlichem Willen zumindest für Klaff zu tun versucht hatte. Klaff war ein Wesen, das mehr Wärme brauchte als es abgab. Hans spürte, daß Klaff ein Recht auf Hilfe hatte; ob man ihn nun mochte oder nicht, ob einem seine kränkliche Dickleibigkeit, seine bläulichfahle Gesichtsfarbe Mitleid oder Schrecken einflößte, ob man den klirrenden Hochmut, der in der Selbstverständlichkeit lag, mit der er forderte, ob man den liebte oder haßte, man mußte Klaff doch helfen: es war nicht zu übersehen, daß Klaff nicht ausgerüstet war für diese Welt; an ihm war vieles vergessen worden, anderes war auf eine besonders eigentümliche Weise ausgebildet: manchmal wirkte er wie ein Fisch, dem die Flossen fehlten, weshalb er dann allen Strömungen hilflos preisgegeben ist, und dann wieder – und das war häufiger der Fall – war er Abkömmling großer, einsam in weglosen Gebirgen lebender Raubvögel; aber ihm waren die Flügel nicht verliehen worden, die in diesen von den Jahrtausenden geschliffenen Felswelten voller Klüfte, Krater, Türme und Grate durch nichts zu ersetzen sind; so hüpfte er denn mit seinem
Weitere Kostenlose Bücher