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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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selbstverständlich bewegten. Er hätte es nicht wagen dürfen, hier auch nur den Mund aufzutun. Alles, was er in seinem Leben bisher gedacht und gesprochen hatte, nahm sich in dieser Umgebung so dürftig aus, so flach und eindeutig, so leicht zu begreifen und ohne Hintersinn. Am besten wäre es, er würde heimfahren nach Kümmertshausen, zu seiner Mutter, würde ihr eingestehen, daß die Studiengelder umsonst ausgegeben worden waren, daß der Sprung von Kümmertshausen nach Philippsburg zu groß war, um innerhalb einer Generation bewältigt zu werden. Sollte er nicht gleich aufstehen, zu Herrn Volkmann hinrennen, um ihm mitzuteilen, daß er sich nicht imstande fühle, auch nur noch eine einzige Nummer der »programm-press« herauszugeben. Er hatte zwar nächtelang auf seinem Bett gelegen und in Hörspieldramaturgien herumgeblättert, auf seinem Nachttisch, auf dem Stuhl und auf dem Bettvorleger lagerten ganze Stapel Fachliteratur, aber das Lesen war ihm schwergefallen; mit unsäglicher Mühe hatte er sich ein Vokabular zusammengekratzt, mit dessen Hilfe er seinen Funk- und Fernsehkritiken einen fachmännischen Anstrich zu geben hoffte.
     Die Firma Volkmann hatte doch sofort nach seiner Unterredung mit Herrn Volkmann zwei riesige Glanzkommoden in sein Zimmer transportieren lassen, einen Radio- und einen Fernsehapparat; Leitungen waren gelegt worden, und auf dem ärmlichen Dach war eine Antenne aufgeschossen: ein hell schimmernder Aluminiumrost auf einem hohen, unglaublich dünnen Mast. Die Großväter hatten sich von ihren Kistchen in den Vorgärten erhoben, die Töchter und Schwiegertöchter waren herbeigelaufen, Scharen von Kindern mit den Händen wegschaufelnd, um seihst näher zu kommen, und Frau Färber war vor das Haus getreten, hatte sich anstaunen und ausfragen lassen, hatte die Neugier und die Bewunderung der Nachbarn genossen und hatte vielleicht gedacht, daß von diesem Augenblick an die käufliche Johanna nicht mehr der interessanteste Gesprächsgegenstand in der Traubergstraße sein würde! Hans hatte sich am Fenster anschauen lassen, hatte aber getan, als bemerke er die Menge nicht, die die Installation des ersten Fernsehapparates in der Traubergstraße beobachtete; die Leute sollten ruhig glauben, daß er immer schon mit solchen Riesenapparaten gewohnt habe. Vor den Technikern der Firma Volkmann aber hatte er sich geschämt, weil sein Bettgestell alt und häßlich war, weil auf dem wackeligen Waschtisch ein rundum beschädigtes Waschlavoir stand, weil er kein Zimmer mit fließendem Wasser bewohnte und weil dieses Zimmer in einer dürftigen Backsteinzeile lag. Als sie abzogen, gab er ihnen ein Trinkgeld, daß sie noch einmal stehenblieben, ihn anschauten, das Geldstück musterten und ihn wieder anschauten. Hans war froh, daß Frau Färber abends bis elf Uhr im Polizeigebäude putzen mußte. Sie hätte sich so gern jeden Abend das Fernsehprogramm angesehen. Herr Färber hatte zum Glück kein Interesse. Und dann gab es ja an seinem Häuschen immer noch etwas zu verbessern. Hans verbrachte die Abende im verschlossenen Zimmer vor seinen Apparaten, sah und hörte und notierte, lobte und verwarf und suchte sich vorzustellen, was dem Publikum am meisten gefiel, denn danach hatte er seine Kritiken zu schreiben, wenn auch, wie ihm Herr Volkmann zugestanden hatte, ein »gewisses Niveau« nicht unterschritten werden sollte. Für Herrn Volkmann waren die Programme ein volkswirtschaftlicher Faktor. Sie hatten so auszufallen, daß immer mehr Leute sich Apparate wünschten und immer bessere Apparate, denn nur so konnten die Umsätze gesteigert, der allgemeine Wohlstand erhöht und Arbeitslosigkeit und schlimmere politische Katastrophen vermieden werden. Das sei eine sittliche Aufgabe für die Programmgestalter, dazu müsse man sie durch Kritik erziehen, weil sie immer dazu neigten, irgendwelche verschrobene Ideen in ihren Programmen realisieren zu wollen. »Es kommt doch auf die Leute an«, sagte er immer wieder, »nicht auf die Künstler.« Dann lächelte er Hans an, und wenn kein Widerspruch kam, sagte er: »Auf dem Papier können sie ja machen, was sie wollen. Aber Radio und Fernsehen sind für alle da. So was gehört in die Volkswirtschaft. Das muß geplant werden können, auf Jahre hinaus. Da kann man steh nicht auf vage Experimente einlassen, verstehen Sie!« So hatte denn Hans allmählich recht deutliche Maßstäbe bekommen. Herr Volkmann betrieb eine hartnäckige Erziehung mit ihm. Er ließ ihn immer wieder

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