Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
Vom Netzwerk:
daß der Bann, den der Dichter über die Anwesenden verhängt hatte, sofort gebrochen war, und ein paar Zuhörerinnen auch gleich mitzukichern begannen. Darunter eine, die dicht neben Hans saß, der er erst jetzt, nachdem wieder Äußerung möglich und erlaubt war, vorgestellt werden konnte. Sie saß mit ihrem Mann in dieser Runde. Dr. Benrath und Frau, besonders enge Freunde von Anne. Anne sagte: »Ihr bleibt, bis die anderen fort sind.« Dr. Benrath sah seine Frau an und sagte: »Das kommt auf Birga an.« Birga sagte: »Das kommt auf Alf an.« Endlich begann Anne wieder lebendig zu werden, endlich schien sie sich von der übermächtigen Gegenwart gewisser Gäste erholt zu haben, vielleicht war es auch Frau Benraths Verdienst, daß sie jetzt gleich so lebhaft wurde. Frau Benrath war nämlich ein stilles großäugiges Wesen, dem die straffen schwarzen Indianerhaare von allen Seiten ins Gesich wuchsen, ein dunkles Traummädchen; daß sie mit diesem bulligen Arztathleten verheiratet war, berührte Hans schmerzlich. Die Gesellschaft rund um ihn war wieder in Bewegung geraten, einzelne verabschiedeten sich, andere zogen einander an den Händen hinaus auf die bequemen Sitzgelegenheiten der Terrasse, wieder andere saßen immer noch in den Ecken der einzelnen Zimmer und schienen wichtige Gespräche zu führen. Er sah Herrn Volkmann lange mit dem Chefredakteur verhandeln, dabei gestattete sich Büsgen allerdings nicht, so nachlässig und unaufmerksam im Sessel zu liegen, wie bei dem Gespräch mit dem Intendanten, obwohl er auch jetzt noch immer das hochmütigste Gesicht der ganzen Party zeigte. Hans hätte gerne ein paar Worte zu Cécile gesagt, noch lieber hätte er gerne viele Worte von ihr gehört, aber sie lag weit zurückgelehnt in ihrem Sessel, und auf ihr Ohr hinab flüsterte jetzt Dr. Benrath. Hans sah eine Weile zu, sah, wie sich Cécile unter den Worten dieses gut gewachsenen Arzttieres wand, auflachte, daß ihr breiter Mund auseinandersprang und die Zahnreihen in einem einzigen Blitz sich entblößten. Birga, seine Frau, wurde von Anne ausgefragt, die jetzt plötzlich alles mögliche über die Ehe wissen wollte. Hans spürte, wie er in der Ferne versank, er konnte nicht einmal mehr rufen. Er hatte keinen Mund mehr, die Glieder waren mit Blei ausgegossen, er wußte, er hatte auf dieser Party versagt. Sein Eintritt in die Philippsburger Gesellschaft hatte sich unbemerkt vollzogen. Anne Volkmann hatte ihn einige Male dem oder jenem, von dem sie behauptete, er sei wichtig für ihn und für die Pressearbeit, vorstellen wollen, er war nie bereit gewesen, er hatte jedes Mal um Aufschub gebeten, hatte sich geniert, einfach auf einen Menschen zuzugehen, ihm keine Flucht zu gestatten, ihm den eigenen Namen und das dazugehörige Lächelgesicht aufzudrängen. Er brachte es nicht über sich, Leute, denen er nichts bedeutete, für die er nicht existierte, zu belästigen. So war es dann zu keiner der geplanten Bekanntschaften gekommen; mit einer Ausnahme: er hatte immerhin den Philippsburger Rundfunk- und Fernsehintendanten kennengelernt. Der schien allerdings zur Zeit alle, auch die Ohnmächtigsten gebrauchen zu können, um seine Wiederwahl zu betreiben. Hans nahm sich vor, ihn bald zu besuchen, ihn zu unterstützen, wo immer er es vermöchte. Er fühlte sich ihm näher als allen anderen. Ob jedoch der mächtige und hochbezahlte Intendant ihn, den hilflosen Journalisten, den auf Industriekommando funktionierenden Redakteur, fünf Minuten nach seiner Wiederwahl noch genau so freundlich ansprechen würde? Aber auch Anne gegenüber hatte er versagt. Ihm war nichts eingefallen zu ihrer Unterhaltung. Er hatte sie zwar in eine Zimmerecke begleitet, aber dann hatte er vor sich hin gesehen, hatte sein Taschentuch von einer Hand in die andere gegeben, hatte die Wolkenformationen studiert, die vor den breiten Fenstern am glühenden Himmel über Philippsburg hinzogen, und hatte über seinen eigenen Kram nachgedacht. Gott sei Dank waren immer wieder Gäste gekommen, die ihm die Verantwortung für einige Zeit abgenommen hatten. Er hätte mehr trinken müssen. Am Anfang hatte der Alkohol ein paar Minuten lang gewirkt in ihm, aber dann war alles eingefroren, je mehr Leute er angesehen hatte, je leichter und sicherer diese Leute sprachen und lachten, desto unfähiger war er geworden. Irgend etwas mußte ihm noch einfallen, bevor die Party zu Ende ging, das war er Anne schuldig. Sie hatte so viel für ihn getan. Aber wer nachdenkt, ist schon

Weitere Kostenlose Bücher