Ehen in Philippsburg
schicke »chez Cécile«, und sie sei die Inhaberin, seine Chefin übrigens, Claude lächelte Cecile breit und kindlich an, ja, vom Malen könne er nicht leben, und Cecile sei eine gute Chefin. Die so Vorgestellte strich Claude, der um einen Kopf kleiner war als sie, über das dunkle lange Haar. Sie war schön und groß und wirkte gleichzeitig mächtig, voll gewachsen und doch zart und fast durchsichtig. Ja, und der Herr, das sei Helmut Maria Dieckow, der Dichter von Philippsburg; Claude gab dem »der« eine Betonung, die besagen sollte, daß die Dichterschaft dieses rosigen kleinen Herrn, der sicher noch keine Vierzig war, alle anderen Anwärter auf diese Würde von vornherein ausschloß. Helmut Maria Dieckow schloß seine ungestalten und unerkennbar im Gesicht verschwimmenden Lippen, neigte den Kopf kaum merklich und betrachtete Hans eine Sekunde lang aus winzigen Pupillen, so daß sich unter Hans’ Füßen augenblicklich der Boden öffnete und er in unendlicher Geschwindigkeit versank und den Kopf immer weiter in den Nacken pressen mußte, um noch zu Herrn Dieckow aufschauen zu können. Glücklicherweise begann der Dichter jetzt gleich wieder zu reden; er setzte seine Rede an Cecile ohne jede Scheu vor aller Ohren fort; dank dieser Rede konnte Hans beginnen, aus seinem Abgrund wieder nach oben zu klettern, ganz langsam, Schritt für Schritt und vorsichtig, denn wurde Herr Dieckow noch einmal auf ihn aufmerksam, traf ihn noch einmal dieser nadelspitze Blick, so würde er wahrscheinlich für immer aus diesem Salon versinken, hinab in die Abgründe seiner eigenen Nichtswürdigkeit. Herr Dieckow sprach von seiner Herkunft, einer einfachen Herkunft fürwahr, und darauf sei er stolz, denn alle Menschen würden gleich geboren, erst die Kraft, die einem innewohne, schaffe dann die Abstände. Gesellschaftlicher Rang gelte ihm nichts, rief er aus und legte seine Daumen hinter die seidenen Schalkragenrevers seines azurblauen Jacketts. Er bete Cécile an und ertrage es nicht länger, daß sie immer die schlichte Handelsfrau vorschütze, die geschäftstüchtige Ladenbesitzerin, die eines Dichters nicht würdig sei. Lächerlich, ein Dichter, er könne das Wort nicht mehr hören, diese Bürgererfindung! Er sei ein Mann des Wortes, und seiner sei jeder würdig, der menschlich intakt sei. Intakt, sagte er und sah prüfend in die Runde. Hans sah schnell auf seine Fingernägel hinab und hob dann seine Augen vorsichtig bis in das großflächige Gesicht Céciles. Sie hörte demütig zu, mit angeatmeten Nasenflügeln und fromm geschürztem Mund. Ob sie schon dreißig war? Sicher nicht. Hans hätte sie gerne sprechen hören, aber daran war vorerst nicht zu denken. Helmut Maria Dieckow war durch die vermehrte Zuhörerschaft in große Erregung geraten. Er halte nichts von heimlicher Anbetung und Minnesängerei. Mit glasklarem Bewußtsein gebe er sich Rechenschaft über seine Empfindungen, und er sehe nicht ein, warum er aus irgendeiner seiner Empfindungen ein Geheimnis machen solle, im Gegenteil, Äußerung sei sein Metier, und wenn er die Frau des Oberbürgermeisters liebe, was ihm übrigens niemals, auch nicht im Traum, passieren könne, da er diese affektierte Gans – und wieder schaute er in die Runde, um den Lohn für seine schrankenlose Offenheit zu kassieren, denn er war, wie Hans später hören konnte, ein Protektionskind der Oberbürgermeisterfamilie und hatte ihr viel zu danken – einfach nicht leiden könne, aber selbst wenn er sie lieben würde, er sagte es frei heraus am Tisch jeder noch so feinen Gesellschaft, auch in Gegenwart seiner eigenen Frau! Und wenn da jemand meine, er müsse über ihn, den Mann des Wortes, lächeln, weil er seine Liebe zu Cecile so hinausposaune, dann gestatte er diesem Lächler jede Freiheit; über einen Künstler könne man leicht lächeln, allerdings auch nur dann, wenn man selbst von traurigster Machart sei. In seinem letzten Roman »Schwertfisch und Mond« habe er es übrigens einigen Lächlern heimgezahlt. Claude flüsterte Hans zu, das habe Dieckow tatsächlich getan. Er habe Philippsburger Persönlichkeiten ziemlich kraß dargestellt und dafür viel Beifall erhalten. Man nehme ihm in dieser Stadt nichts übel, weil man erpicht darauf sei, als kunstverständig zu gelten.
Hans wagte kaum mehr zu atmen. Er hatte noch nie eine Versammlung so eigenartiger Menschen erlebt. Wie unfähig und ärmlich war er, verglichen mit der Gesellschaft, in der sich Frau Volkmann und Anne so
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