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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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auch so ein Männchen, das durchs Treppenhaus schleicht, eintritt und gleich aufs Ziel lossteuert. Ein bißchen über die eigene Frau klagen, sich bemitleiden lassen, bis es dann soweit ist. Dann wieder hinausschleichen, heimkommen und feststellen, daß man alles übertrieben hat, daß es sich zu Hause eigentlich ganz gut leben läßt. Aber morgen wird er, der wahre Schizophrene, trotzdem wieder jenen lächerlichen Schleichweg betreten.
     Benrath kannte diese Männchen. Und seit er sie kannte, hatte er sich geschworen, daß es nie so weit kommen sollte mit ihm. Wenn dies einem Mann zum ersten Mal passiert, sind ihm kaum Vorwürfe zu machen. Er wird, aufgeblasen wie ein Aprilwind, sich so sehr im Recht fühlen, daß mit ihm gar nicht zu diskutieren ist. Er wird heimkommen und nichts bereuen. Im Gegenteil. Alles wird ihm jetzt zu Hause so erscheinen, wie er es der anderen ins Ohr geflüstert hat. Aber bei der zweiten Geliebten, bei der dritten und fünften, da fällt es ihm auf, daß er immer wieder die gleichen Klagen vorbringt, daß er sich bis in den Satzbau, bis auf die Weise des Vortrags einfach wiederholt. Er kann jetzt seine Ehemisere schon auswendig, aber er fühlt sich der jeweiligen Geliebten gegenüber verpflichtet, seine Erzählungen, die ihn doch zu dem, was er gleich tun will, berechtigen sollen, mit heißem Atem vorzutragen, mit so ursprünglicher Gewalt, als entstünden diese Gedanken, diese Klagen jetzt im Augenblick zum ersten Mal, weil es doch sie, die Geliebte sei, die ihm erst durch ihr Dasein bewiesen habe, daß er auf die und die Weise unglücklich sei mit seiner eigenen Frau.
     Obwohl jede Geliebte sich von der vorhergehenden unterscheidet, die Rechtfertigungen bleiben die gleichen. Erstaunlich aber ist, daß die Geliebten, die ja immer schon Geliebte auch anderer Ehemänner gewesen sind, daß sie die Klagen jedesmal wieder zum ersten Mal zu hören glauben, obwohl auch sie sie schon längst auswendig können müßten, da ja nicht nur jeder einzelne dabei immer wieder das gleiche erzählt, sondern alle Ehemänner der Welt nur eine einzige Klagemelodie haben, die sie in immer die gleichen Ohren auf die gleiche Weise singen. Es wird also nicht bloß die Ehefrau betrogen. Diese Männchen sind anständig genug, auch sich selbst zu betrügen, und die, mit denen sie betrügen, dazu.
     Und von dieser lüsternen Gesellschaft hätte sich Benrath – dazu war ihm jedes Argument recht – gar zu gerne unterschieden gesehen. Und auch Cécile sollte sich unterscheiden von jenen hinter Vorhängen ausgehaltenen Frauen. Sie war keine Geliebte. Und doch wurde sie es in dem Augenblick, in dem er keine Hoffnung mehr hatte, sie heiraten zu können. Und er hatte keine Hoffnung mehr. Er sagte: »Ich will nicht mehr mit dir schlafen, wenn es dich quält.« Cécile sah ihn dankbar an. Benrath sagte: »Aber ohne dich sein kann ich auch nicht mehr.« Cécile nickte. Benrath glaubte, was er sagte. »Was sollen wir tun?« fragte Cécile. Benrath drängte mit den Händen. Aber er sagte noch einmal, er wolle nicht mit Cécile schlafen, wenn er wisse, daß sie nachher noch trauriger sei, noch elender. Als er dies gesagt hatte, freute er sich so sehr über seine edle Haltung, daß ihm fast die Augen feucht wurden. Es war, als spielte in seinem Rücken ein Streichorchester, viele Bratschen waren dabei und schmerzliche Celli. Gleich kam er sich wieder lächerlich vor, weil er wußte, daß es ihm mit seinen Worten nicht so ernst gewesen war, wie Cécile jetzt glaubte. Warum hielt er denn seine Hände nicht zurück? Er hatte sich das doch bloß vorgemacht, daß er Cécile nur kurz besuchen wolle, ohne sie zu berühren. Er hätte sich doch eingestehen müssen, daß auch dieser Besuch im Bett enden würde. Ob Cécile danach noch trauriger sein würde, noch elender, daran würden sie beide, wenn es erst einmal soweit war, nicht mehr denken. Er würde danach wieder in Selbstbezichtigungen ausbrechen, würde Cécile alles, aber auch gar alles auf der Welt versprechen und anbieten, mit der einen Ausnahme, sich scheiden zu lassen; und Cécile würde jämmerlich vor sich hin sehen, weil ihr alles, auch gar alles auf der Welt nichts, aber auch gar nichts nützte, weil ihr nur eines hätte helfen können, nämlich Benraths Frau zu werden, öffentlich und gesetzlich, ohne Vorhänge und niederdrückende Heimlichkeit.
     Jetzt hatten sie sich schon ineinander verkrallt, ihre Körper hatten sich gefunden, widerstrebend zwar und ohne Freude.

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