Ehen in Philippsburg
anderes, dann soll wenigstens dieses Letzte nicht auch noch zersetzt werden von Skrupeln und Tränen. Er war wieder so weit, daß er sich solche Redensarten eine ganze Zeitlang glaubte. Es folgten ein paar Augenblicke geradezu fröhlicher Benommenheit. Benrath tat ein übriges und erinnerte noch einmal daran, daß er es nicht wolle, wenn er dadurch Céciles Unglück vergrößere; aber jetzt waren es wirklich bloß noch Worte, sinnloses Getön, das ihn selbst wärmen sollte. Cécile verbot ihm auch gleich, so zu sprechen. Aber er trachtete weiter nach Rückversicherung. Er brauchte etwas, auf das er sich nachher berufen konnte. Er mußte gedeckt sein, wenn Cécile ihn nachher ansehen, wenn sie ihm die Hand geben würde. Er wußte ja, daß er danach zufrieden aufstehen würde, daß er heimgehen würde zu seiner Frau, zu seiner Arbeit, Cécile aber würde zurückbleiben, den ganzen Abend, die ganze Nacht. Viel Abende. Und alle Nächte. Er mußte etwas für sie tun, er mußte ihr danken für das, was er im Bett in diesem Augenblick von ihr empfing, er mußte etwas erfinden, wenn es nichts gab, mehr als Worte, etwas Wirkliches; aber sosehr er sich bemühte, seine Schuld ließ sich unter keinem Mäntelchen mehr verbergen. Die Scheidung war nicht möglich, und alles andere war sinnlos, und auch die Scheidung wäre sinnlos gewesen, das wußten sie doch längst, weil sie sich ihr Leben nicht dadurch erkaufen konnten, daß sie Birgas Leben zertrümmerten; Cécile hatte ihm schon oft – wie eine Bäurin die Hände zusammen in den Schoß legend – gesagt: »Das würde uns kein Glück bringen.« Also gab es nur eine einzige Möglichkeit, etwas für Cécile zu tun, eine einzige Möglichkeit, alle Quälereien und Halbheiten zu beenden, und das war – er gestand es sich jetzt nicht zum ersten Male ein, aber er sprach es zum ersten Male vor Cécile aus: Birgas Tod. Cécile sagte: »Daran habe ich auch schon gedacht.« Natürlich dachte sie nicht an Gewalt, aber in diesem jahrelangen Dilemma war auch ihr diese Lösung als die einzige erschienen, eine überirdische Lösung, an die man nur denken konnte, wobei man dieses Denken mit hartem Willen zu bewachen hatte, daß es auch nicht für den Bruchteil einer Sekunde sich zu einem gefräßigen, alle Selbstachtung zersetzenden Wunsch auswachsen konnte.
Als Benrath sie so ruhig sagen hörte: »Daran habe ich auch schon gedacht«, war er einen Augenblick lang unentschlossen, ob er in Céciles Geständnis einen Eingriff in sein Leben sehen sollte, den er auch ihr nicht zugestehen durfte, oder ob er es als einen Beweis für das Schicksalhafte ihrer Beziehung zu ihm auffassen sollte. Ehe er sich noch recht besann, hatte er sich schon für die zweite Möglichkeit entschieden. Céciles Geständnis hatte ihn wie ein Sturm erfaßt und ihn noch tiefer in dieses Dilemma gestürzt, das sie seit Jahren wie ein Gefängnis teilten, aus dem es keinen Ausbruch gab; in dem aber auch nicht Luft genug war, ein ganzes Leben darin zu atmen.
Cécile blieb liegen, als er sich ankleidete. Er hörte sich wieder reden. Er überhäufte sie wieder mit nichtswürdigen Angeboten, versprach seinen Schutz, seine Sorge, beteuerte, daß er ja mit ihr verheiratet sei, da seine Ehe ja nur noch eine Scheinehe sei… Wahrscheinlich hörte Cécile nicht zu. Warum auch! Was er jetzt noch von sich gab, waren wieder nur Worte, hervorgebracht von seinem schlechten Gewissen Cécile gegenüber. Eine Scheinehe! So etwas gibt es nicht. Sie wußten es beide. Ein Mann ist mit der Frau verheiratet, mit der er die meiste Zeit verbringt. Ob glücklich oder nicht, ob in Liebe oder im Haß, das wiegt nicht viel. Glück und Liebe sind leichtfertige Worte, Konfektionsware des Gefühls, kleine lächerliche Schutzwehren gegen die Wirklichkeit, die in Sekunden abläuft und unwiderruflich ist und zum Ende führt. Was wiegt, ist die Zeit, sind die täglichen vierundzwanzig Stunden, die einen Mann und eine Frau zusammenwachsen lassen. Alles andere ist Amüsement. Cécile wußte wahrscheinlich recht gut, daß ihr Leben so lange dem Amüsement verfallen war, solang Benrath nur zu kurzen Besuchen kam und sie die übrige Zeit allein ließ.
Benrath hörte auf zu sprechen. Er mußte gehen. Birga wartete. Wenn er jetzt kam, war er noch nicht zu langen Erklärungen verpflichtet. Mit jeder Minute, die er später kam, würde es schwieriger werden. Er machte eine hilflose Handbewegung. Cécile lächelte und sagte: »Ich weiß, du mußt gehen.« Sie
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