Ehen in Philippsburg
zog sich rasch an, dann konzentrierte sie sich auf die Aufgabe, Benrath einen unbemerkten Abgang zu verschaffen. Dabei veränderte sich ihr Gesicht. Benrath sah, daß sie nun wieder trostlos zurückbleiben würde. Wahrscheinlich würde sie weinen. Sie vermochte trotz aller sichtbaren Anstrengung ihr Gesicht kaum in Ruhe zu halten, es zuckte und arbeitete; Benrath dachte, es ist, als hätte sie Wehen. Er würde sich der Geburt entziehen. Er konnte nichts mehr nützen. Das einzige, was ihm übrigblieb, war, daß er sich vornahm, nie mehr wiederzukommen! Im Augenblick glaubte er es wieder einmal. Er bemühte sich, in seinem Gesicht möglichst viel Unglück, Trauer und Wut zum Ausdruck zu bringen, dann umarmte er sie noch einmal, zog sie an sich, als wolle er sie nie mehr loslassen; tat, als habe er im Augenblick den Entschluß gefaßt, ganz und für immer bei ihr zu bleiben, ließ dieses Gefühl wie ein Narkotikum durch seine Adern rinnen und bereitete dann den Fluch vor, mit dem er sich lösen würde, mit einem Fluch auf die gegenwärtige Welt- und Gesellschaftsordnung, der er rasch die Schuld für alle Ungelegenheiten zuschob.
Cécile sagte: »Du solltest nicht mehr kommen.« Benrath nickte. Dann brach sie noch einmal aus. Es war, als wollte sie ihm, bevor er jetzt ging, noch möglichst viel sagen, daß sie’s nachher nicht allein vor sich hin sagen mußte. »Diese Heimlichkeit würgt mich ab. Ich kann niemanden mehr ansehen. Ich fürchte mich vor jedem Laut. Ich bin nicht dafür geschaffen. Überall sehe ich Verfolger, Aufpasser, die kontrollieren, ob ich nicht auf dem Weg zu dir bin, ob ich nicht im Gesicht verrate, daß ich an dich denke. Ich komme mir vor wie die schlimmste Verbrecherin. Und wenn das Telephon geht, wage ich nicht mehr, den Hörer abzunehmen. Alf, ich kann nichts mehr essen. Nachts wache ich auf an meinen eigenen Schreien. Im Geschäft, ich kann nicht mehr mit den Leuten sprechen, weil ich sie nicht mehr anschauen kann, ich glaube immer, daß sie mich prüfen, daß sie etwas herausbringen wollen. Und Birga, sie darf nicht mehr kommen. Verbiete ihr auf irgendeine Art und Weise, daß sie ins Geschäft zu mir kommt. Sie ist so freundlich zu mir. Das bringt mich um. Ich möchte am liebsten hinausrennen, wenn sie eintritt. Bitte, Alf, komm du auch nicht mehr. Ich halt’ es nicht aus. Ich wäre gerne deine Geliebte geworden, weil das andere nicht möglich ist, aber ich eigne mich nicht.« Benrath erinnerte sich daran, wie oft sie schon so an der Wohnungstür gestanden hatten, wie oft Cécile das schon gesagt hatte, was sie jetzt gerade wieder sagte. Er erinnerte sich auch daran, wie oft er in den vergangenen Jahren versprochen hatte, nicht mehr zu kommen, und immer war er wiedergekommen, immer wieder hatte sich alles genauso abgespielt wie heute, immer wieder ein bißchen anders, aber im großen und ganzen war immer das gleiche Uhrwerk der Hoffnungslosigkeit abgelaufen, ohne daß ihr gemeinsames Unglück durch die Vorhersehbarkeit des jeweiligen Verlaufs mechanischer und dadurch milder geworden wäre. Céciles Entschlossenheit allerdings schien gewachsen zu sein. Ihre körperliche Verfassung zeigte mehr als alle Worte, daß es höchste Zeit war. Also nahm er sich’s ganz ernst vor, nicht mehr zu kommen. Bei wem sollte er es schwören? Was sollte er tun, um sich einen weiteren Besuch einfach unmöglich zu machen? Unmöglich auch dann, wenn er wieder von einer anderen Stimmung befallen werden würde. Unmöglich auch, wenn er bewußtlos zu ihr hinlaufen wollte. Er hätte am liebsten laut hinausgeschrien, daß er nicht mehr kommen werde, an die Häuserwände hätte er’s malen sollen, in der Zeitung veröffentlichen! Gab es denn nichts, gar nichts gegen ihn selbst? Gegen den unbesiegbaren Wunsch, in diese Wohnung zu rennen? Was sollte er jetzt für Versprechen abgeben, wenn er sich im gleichen Augenblick an all die gebrochenen Versprechen erinnerte, wenn er bis zum Hals in den Trümmern seiner Vorsätze stand und vor Ohnmacht hätte jaulen können. Ihm war doch nicht mehr zu trauen. Er würde wiederkommen, und wenn Cécile am Boden herumkriechen würde vor Schwäche, wenn das Elend ihr Gesicht zergraben haben würde, er würde rücksichtslos eintreten, seinen Genuß suchen und finden mit Hilfe körperlicher Überlistung, dabei stand ihm seine ärztliche Kenntnis wie keinem anderen zu Gebote, auch wenn Cécile ein hysterisch zuckendes Bündel sein würde. So lange eben würde er wiederkommen, als
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