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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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häßlichen Leiber, ihre tierische Dankbarkeit. Und wenn ihre Männer kamen, schämten sie sich ihm gegenüber für diese Männer; am Anfang hatte ihn das getragen, wie der Wind einen Vogel trägt, er hatte die Unterwürfigkeit in allen Formen genossen, er war ein Übermann geworden, weil er mit desinfizierten Händen und geschulter Sachlichkeit hantieren konnte, wo die Frauen sonst nur Begier, Anbetung, Gewinsel und Kopflosigkeit gewohnt waren; aber dann waren seine Triumphe Gewohnheit geworden, Geld war eingegangen, die Tage hatten sich hingeschleppt, woher sollte noch Post kommen? Birga besorgte das Hauswesen und bat um Kinder, die er noch nicht haben wollte. Er wollte einen Schluck Tee trinken. Der war kalt geworden und schmeckte bitter. Auch Céciles Tasse war noch voll. Seit Benrath eingetreten war, war kaum ein Wort gefallen. Sie hatte manchmal aufgesehen, hatte sein Gesicht beobachtet, als sei er ein Bote, der im nächsten Augenblick Wichtiges mitteilen müsse. Wahrscheinlich hatte sie wieder lange auf ihn gewartet, bis zur Ratlosigkeit, und jetzt hoffte sie auf ein Wort von ihm, das alles erleichtern würde. Benrath hatte geschwiegen. Er hatte nichts zu sagen. Und als er dann zu sprechen begann, da wußte sie, daß er auch heute nichts Neues mitzuteilen hatte. Es hatte sich nichts entschieden. Es würde sich nie etwas entscheiden. Und trotzdem erwarteten beide, daß etwas geschehe. Sie taten, als habe sich ein Gericht zur Beratung zurückgezogen, als hätten sie nur noch die Rückkehr der schwarzen Herren abzuwarten, die würden dann das Urteil bekanntgeben, das Urteil, das alle Quälereien beenden, das eine geradezu überirdisch anmutende Lösung enthalten würde. Und doch wußten sie, daß alles bei ihnen lag. Daß nirgends auf der Welt beraten wurde über sie. Benrath sagte, er liebe Cécile. Wie ein nicht ganz zugedrehter Wasserhahn dann und wann einen Tropfen entläßt, der dann klirrend in die Stille fällt, so fiel dieser Satz, der Schwere gehorchend, aus Benraths Mund. Céciles Lippen bewegten sich: eine Gardine, die sich kaum merklich rührte, wenn irgendwo im Haus eine Tür geöffnet wird. Benrath stand auf, ging im Raum hin und her, tat, als gebe es noch etwas zu überlegen; aber er suchte nur eine Möglichkeit, sich unauffällig neben Cécile auf die Couch setzen zu können. Sie begannen einander abzutasten, fast mechanisch. Es war deutlich, daß beide an etwas anderes zu denken versuchten, daß beide so taten, als bemerkten sie nicht, was ihre Hände da vorbereiteten, diese Hände, die wie vom Hunger betäubte Tiere über das Fleisch glitten und doch nirgends zu verweilen wagten. Cécile entzog sich plötzlich und begann zu sprechen, sagte was sie schon so oft gesagt hatte. Sie halte es nicht mehr aus, sich nachmittags hinter geschlossenen Vorhängen rasch ins Bett werfen zu lassen, jeden Augenblick eine Störung, eine Entdeckung befürchten zu müssen, weil doch jeder, der draußen vorbeigehe, sich wundern müsse über die geschlossenen Vorhänge; sie halte es nicht mehr aus, Benrath wie einen Verbrecher hinauslassen zu müssen, ihm auf Zehenspitzen vorauszugehen, das Treppenhaus zu erkunden und die Straße und die Fenster der Nachbarn. Aber Benrath war ein stadtbekannter Arzt, hatte eine Abteilung in der Elisabethenklinik, Frauen aus der besten Gesellschaft waren seine Patientinnen, er hatte auf seinen Ruf zu achten, als Frauenarzt mehr als jeder andere, und Cécile mußte das verstehen, und sie verstanden auch, aber sie hielt es nicht mehr aus. Und scheiden lassen konnte er sich nicht. Von Birga nicht. Er hatte keinen Grund. Birga war gut. Das wußten sie beide. Und eine Scheidung hätte die Gesellschaft gegen ihn aufgebracht. Die Männer wären neidisch gewesen, die Frauen empört.
     Benrath dachte, ein Mann, der seine Frau betrügt, ist das lächerlichste Wesen, das man sich vorstellen kann. Er wollte keine Geliebte haben. Er haßte dieses Wort. Er wollte sich nicht gemein machen mit den lüsternen Männchen, die sich in entlegene Zimmer schleichen, um sich hinter geschlossenen Gardinen ein paar Stunden gütlich zu tun. Wenn er keine Hoffnung mehr hatte, Cécile ganz für sich zu bekommen und für immer, dann wollte er sie nicht mehr besuchen. Warum kam er dann immer noch? Die Zeit des ersten Überschwangs, als sie noch mit Schwüren übereinander hergefallen waren, war doch längst vorbei. Jetzt war sie doch seine Geliebte! Nichts anderes als seine Geliebte! Ein Verhältnis! Und er war

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