Ehen in Philippsburg
kein Wort von mir. Die Schwestern werden Ihnen drohen, sie werden sagen: wir lassen Sie ausbluten, wenn Sie den Namen nicht sagen. Lassen Sie sich nicht einschüchtern. Die müssen Sie behandeln. Ich weinte. Ich bat ihn, mir noch eine Stunde zu geben. Wenn es in einer Stunde nicht aufgehört habe, könne er mich in die Klinik einweisen. Er sah mich an, er schwitzte im ganzen Gesicht, fluchte und ließ mich liegen. Eine Stunde lag ich und dachte: ich darf nicht mehr bluten, nicht mehr bluten, nicht mehr… nicht mehr… Als er nach einer Stunde kam, hatte es aufgehört, da grinste er mich an. Er sagte: Sie haben Schwein gehabt. Die in der Klinik sind nicht sehr freundlich, wenn ein krimineller Abort eingeliefert wird. Dann kam seine Frau und wusch mir das Gesicht.«
Anne lag noch drei Tage in dem Vorstadthotel. Dann holte Hans sie mit einer Taxe ab. Das war zum ersten Mal in seinem Leben, daß er eine Taxe benutzte. Ihrer Mutter erzählte Anne, sie habe sich bei ihrer Freundin, bei der sie all die Tage zu Besuch gewesen war, eine Fischvergiftung geholt.
Hans blieb in dieser Nacht bei Anne. Sie erzählte ihm immer wieder von vorn, was mit ihr geschehen war. Immer wieder sagte sie: ich kann es nicht erzählen. Hans schlief ein, hörte, daß sie immer noch sprach, schlief, wachte wieder auf, Anne sah ihn an, lächelte, legte seine Hand auf ihre große schwere Brust und zeigte ihm, daß schon Milch kam. Hans sagte: »Später! Das kommt alles wieder.« Anne sagte: »Ich weiß nicht einmal, ob es ein Junge oder ein Mädchen gewesen wäre, so kaputt haben sie alles gemacht.«
Hans dachte: das hat sie alles mir zuliebe getan. Wir sind einander sehr nahgekommen. Wahrscheinlich muß ich sie jetzt heiraten…
II
Ein Tod muß Folgen haben
1
Dr. Benrath saß Cécile gegenüber. Bei seinen früheren Besuchen hatte er sich immer so bald als möglich neben sie auf die Couch gesetzt, hatte schon während des Teetrinkens das laute Sprechen zum Flüstern herabgestimmt, um den Raum klein zu machen, so klein, daß er zu einer Nußschale wurde, in der sie sich beide eng aneinander, drängen mußten. Jetzt schwieg er, Cécile schwieg auch. Sie starrten in ihre Teetassen, starrten auf das Mosaiktischchen, das sie trennte. Die Mosaikplatte war in Messing gefaßt. Selbst die Tischbeine waren aus Messing. Drei scharfkantige, kalt glänzende Kurven, die sich heraufbogen, die Tischplatte zu tragen. In diesem Zimmer war alles aus Stein, aus Messing, aus Kunststoff und Leinen; vielfarbig, glänzend, handgewebt, Stilgefühl verratend und Konsequenz. Selbst die Luft, der bloße Raum in diesem Zimmer, schien von kühlen Kurven und schneidenden Geraden durchzogen zu sein, ein abstraktes Gespinst, das einem die Augen zerschnitt. Cécile hätte es nicht nötig, so deutlich zu zeigen, daß sie Geschmack hat, dachte Benrath, das tun ja meistens nur die, die keinen haben. Aber sie war eben dazu verpflichtet, weil sie das Kunstgewerbegeschäft besaß. Als er zum ersten Mal dieses Zimmer betreten hatte, war er erschrocken. Er hatte befürchtet, Cécile gehöre zu denen, die ängstlich alles vermeiden, was nach einem sogenannten Stilbruch aussehen könnte; wer aber Geschmack hat, das heißt, wer sich seiner selbst auch nur halbwegs bewußt ist, der kann seine Wohnung und sein Leben einrichten, wie er will, ohne sich an kalten Stilkonsequenzen wie an einem Leitseil entlanghangeln zu müssen. Benrath verglich sein Leben mit Céciles Wohnung. Eine Religion oder auch nur so etwas wie eine Moral zu haben, das erleichtert das Dasein genauso, wie der Gehorsam einem vorgegebenen Stil gegenüber das Einrichten einer Wohnung leicht macht. Man erspart sich die Mühe, sich selbst entdecken zu müssen. Man bezieht das Leben fix und fertig aus dem Reglement. Warum hatte er sich dann nicht an das Leitseil einer moralischen Ordnung gehalten? Dann säße er jetzt nicht in der Wohnung seiner Geliebten. Aber er war sich zu wichtig gewesen. Er hatte nicht auf sich verzichten wollen. Er hatte alle seine Möglichkeiten kennenlernen wollen, alle Spiegelungen seiner Person in einem zweiten Menschen. Wie er in seiner Frau erschien, hatte er gewußt, allzubald, er hatte nicht mehr hinschauen müssen. Das war ein Land, das er kannte, das seinen Fuß nicht mehr erschütterte, wenn er es betrat. Und er brauchte Erschütterungen, weil es sonst nicht auszuhalten war, Sprechstunde, Klinik, Visite, Geburten, Operationen, Geburten, die andächtigen Augen der Patientinnen, ihre
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