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Ehen in Philippsburg

Ehen in Philippsburg

Titel: Ehen in Philippsburg Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martin Walser
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Nachbarin.) Unter den prüfenden Blicken der Bewohner verließ er die Traubergstraße, in der er jetzt ein Zimmer sein eigen nannte. Er war froh, so schnell ein Zimmer gefunden zu haben, und hätte sich am liebsten gleich hingelegt, ein bißchen auszuruhen, aber er hätte dann allein bei den Kindern in der Wohnung bleiben müssen, und wenn die etwas anstellten, wenn sie sich verletzten, dann mußte er einspringen, diese Vorstellung war ihm unangenehm. Und dann würde um fünf Herr Färber kommen, nichts ahnend würde er eintreten, Beumann müßte alles erklären, nein, da wartete er schon lieber, bis um elf die Frau zurück war, die sollte ihrem Mann die Neuigkeit selbst überbringen, dann genügte es, wenn er eintrat, sich kurz vorzustellen, seine Ruhebedürftigkeit in einem Satz zu erklären, und er konnte sich in sein Zimmer einschließen und schlafen.

    Als Beumann am nächsten Vormittag die Färbersche Wohnung verließ, rann ihm ein wohliges Gefühl durch alle Glieder; er war zufrieden mit sich, weil es ihm gelungen war, Frau Färber ein für allemal – und dies ohne sie zu verletzen – davon zu überzeugen, daß er ein Mensch sei, der das Frühstück hasse, in jeder Form, jetzt und in Ewigkeit. Natürlich hatte er ein bißchen lügen müssen, mein Gott, wie anders hätte er Frau Färber das beibringen können. Mit ihr und den Kindern zu frühstücken – der Mann verließ das Haus ja leise und mit einer Thermosflasche noch zu nachtschlafener Zeit –, das war ihm nicht möglich. Gerede, Berührungen, Gelächter am frühen Vormittag, wenn er noch gar keine frische Luft geatmet hatte, diese Aussicht hätte ihm jeden Mut zum Aufstehen genommen. Er mußte zuerst ein paar Schritte gehen, dann konnte er sich in die Ecke eines Cafés setzen, dem Ober mit dem Zeigefinger auf der Karte andeuten, was er zu sich zu nehmen wünschte, wortlos konnte er dann auch sein Frühstück beenden und die Stimmbänder, die Lungen, seinen ganzen Körper allmählich den Anforderungen des hellen Tages aussetzen. Eigentlich wäre er gerne sitzengeblieben in dem Café in dem er das Frühstück eingenommen hatte, bis zum Mittag wenigstens, es war so gut aufgeräumt, der Boden spiegelte, alle Tischtücher waren frisch, er fast der einzige Gast, die Ober voller Zurückhaltung, ihn nur aus den Augenwinkeln vom Büfett her dann und wann beobachtend, und draußen, durch die Stores gemildert, die immer lauter und rascher vorbeifließende Straße: aber er mußte doch Anne Volkmann besuchen, er hatte sich das so fest vorgenommen, er mußte ihr sagen, daß der Chefredakteur Büsgen anrufen würde, um ihn zu einem Besuch einzuladen. Die Vorstellung, daß Büsgen bei Volkmanns anrufen und nach ihm verlangen würde, Anne aber (oder eine Hausangestellte) wüßten überhaupt nicht, daß er in der Stadt war, Mißverständnisse, Befremden auf beiden Seiten, so daß schließlich dem Chefredakteur nichts übrigblieb, als den Hörer verärgert aufzulegen und diesen unzuverlässigen Bewerber ein für allemal aus seinem Gedächtnis zu streichen, diese Vorstellung beunruhigte ihn und trieb ihn bald auf die Straße hinaus, hinüber zu dem breitesten Villenhügel von Philippsburg, wo ganz oben, hinter hohen Mauern und dazu noch in einem von alten Bäumen behüteten Garten die Volkmannsche Villa lag.
     Frau Volkmann selbst führte ihn hinauf in Annes Zimmer und präsentierte ihn ihrer Tochter wie eine freudige Überraschung. War das eine lebhafte Frau! Und wie gekleidet! Schwarze Hosen, deren Beine bis zu den Fesseln hin immer enger wurden, so eng, daß Hans gerne gefragt hätte, wie man in solche Hosen überhaupt hineinschlüpfen könne; und einen hauchdünnen Pullover trug sie, lilafarben und tief ausgeschnitten, daß man die weiße Haut ansehen mußte; eine so weiße Haut hatte Hans noch nicht gesehen, phosphoreszierend weiß, so weiß, daß man glauben konnte, sie schimmere ins Grünliche; und über alles fiel, hart glänzend und voll, das pechschwarze Haar. Hans zögerte. Sie aber griff ihn an der Hand wie einen alten Spielkameraden, »ein Studienfreund«, rief sie (obwohl er gesagt hatte, er sei ein Studienkollege von Anne), »kommen Sie, kommen Sie, Anne wird sich freuen«. Dann sprang sie vor ihm her, wie eine Tänzerin, immer mindestens zwei Stufen mit einem Satz nehmend. Hans kam außer Atem oben an. Anne saß auf einem alten Stuhl mit geschnitzter Lehne – unbequemer konnte man in diesem Zimmer nicht mehr sitzen, das sah er sofort – und strickte.

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