Ehen in Philippsburg
schnell weinte. Tränen, die nicht bloß wie Wasser in den Augen standen, sondern wie Öl. In dieser Villa gab es keine Entschuldigung, kein Wort der Erklärung. Er war ein Mörder. Der war er ja auch. Aber wozu Gerichte aufsuchen. Wozu Ankläger herausfordern. Er kannte die Anklage, er kannte das Urteil. Kannte er das Urteil? Es lautete wie die Anklage: Mörder. War das Urteil genug? Das würde sich zeigen. Er würde es erfahren. Wozu also zur Beerdigung gehen. Um es denen, die ihn anklagen wollten, leichter zu machen? Um ihrem Bedürfnis nach Gerechtigkeit entgegenzukommen? Gerechtigkeit ist das, was ohne das Hinzutun einzelner geschieht. Das, was sich von selbst vollzieht. So war’s ihm recht. Er legte sich immer alles so zurecht, daß er selbst einigermaßen glimpflich davonkam. Deswegen war das auch keine Flucht, wenn er in Céciles Wohnung gelaufen war. Es diente der Zukunft. Mit Birgas Eltern hätte er nur über die Vergangenheit streiten können. Ein unendlicher, durch nichts mehr zu schlichtender Streit. Also hatte er doch vernünftig gehandelt.
Warum werde ich mir selbst eigentlich nicht widerlich, dachte er.
Cécile trat ein, ohne ein Wort zu sagen, drehte sich um und ging wieder hinaus, in das Wohnzimmer hinüber. Als er hörte, daß sie sich setzte, stand er auf, folgte ihr, setzte sich auch an den kühlen Tisch aus Stein und Messing und wanderte mit seinen Augen über das Mosaikmuster hin, fand eine Linie, die das Ganze zusammenhielt, folgte ihr, so mühsam es war, sie in all den Spiralen und Ellipsen im Auge zu behalten, verlor eine Sekunde lang die Konzentration, und schon hatte sich das Muster verwirrt, seine Augen schwammen über den Tisch hin, fanden keinen Halt mehr, bis sie drüben, auf der anderen Seite, auf Céciles Knie fielen und dort liegenblieben, an der Stelle, wo der enge schwarze Rock wie ein kleines straffes Vordach über die dicht aneinanderliegenden Knie vorstand, unbeweglich, als wäre er aus Stein. Dann schoben sich Céciles Hände her, die Knie streckten sich, Cécile zog den Rock tiefer. Alf sah sie an und sagte: »Es ist nicht leicht, Cécile, jetzt etwas zu sagen.« Alf hatte gesehen, daß Céciles Hände zitterten. Jetzt sah er, daß ihr Gesicht verzerrt war, als habe ein Krampf es befallen, die Gesichtszüge durcheinandergeworfen und sie dann in gänzlicher Verwirrung zurückgelassen. Es bewegte sich nichts mehr. Die Augenbrauen hingen starr und eingefroren tief über den Augen, herabgepreßt. Die Backenknochen stachen weiter aus dem Gesicht als je und schienen die matte, des Aushaltens müde Haut gleich endgültig zertrennen zu wollen. Die Lippen hatten alle natürliche Form eingebüßt, waren einfach entgleist, überworfen, weil die Zähne sich aufeinandergebissen hatten und sich nicht mehr – nie mehr, so sah es aus – zu lösen vermochten.
Alf hatte schon einige Male Atem geholt, um etwas zu sagen. Es gelang ihm nicht. Wer hat diesen Unterschied geschaffen auf der Welt! Was war er gegen Cécile, gegen Birga? Er schaute zu, wenn die litten. Er genoß, wenn die lebten. Er räsonierte, wenn die starben. Sie waren ganz andere Wesen. Es gab keine Gemeinsamkeit. Er würde für alle Zeit der Nutznießer ihrer Leiden sein. Er würde sich Gedanken machen, würde sich auch selbst zu verurteilen haben, dann und wann, aber es würde immer ein luftiges Gericht bleiben, eines, das man wegblasen konnte, wenn es gar zu bedrohlich wurde; aber es würde ja nie so bedrohlich werden, da er sein eigener Verteidiger war und es auch ganz in seiner Hand hatte, wie törichte Argumente er dem Staatsanwalt in den Mund legen würde, nicht gar zu törichte; es mußte schon der Anschein gewahrt werden, als gehe er mit sich ernsthaft ins Gericht, er mußte sich nach der Verhandlung, wenn er wieder einmal davongekommen war, doch freuen über den Ausgang, er mußte das Gefühl haben, es hätte auch anders ausgehen können. Obwohl es natürlich niemals anders ausgehen konnte. Aber die Frauen, die sprangen immer gleich mit Haut und Haaren in die Messer hinein, mit denen er spielte. Für die gab es nur Ernst. Welch ein Unterschied! Und wie sehr zu ihrem Nachteil waren diese Wesen auf der Welt. Ein Mann hat eben so gut wie kein Gewissen. Er lügt auch dann noch, wenn er glaubt, er spreche die Wahrheit. Frauen aber sagen die Wahrheit, selbst wenn sie zu lügen glauben. Er hatte immer noch jonglieren können, hatte Fähigkeiten ausgebildet, die es ihm möglich machten, Reden zu führen, die für
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