Ehen in Philippsburg
Toten gelächelt, die durch Verkehrsunfälle ums Leben gekommen waren. Herr Dr. Alwin hob sich aus seinem Sitz, freute sich, daß er nirgends anstieß, dachte, daß die Welt froh sein konnte, daß es noch. Männer wie ihn gab, schloß die Wagentür, langte mit der linken Hand hinter sich, um – wie immer – die Liebkosungen seines Hundes Berloz entgegenzunehmen. Seine Hand griff ins Leere. Dr. Alwin verlor einen Augenblick das Gleichgewicht, weil er so daran gewöhnt war, sich mit der linken Hand nach hinten auf den Hals des Hundes zu stützen, ihn zu kraulen, seinen Kopf heraufzudrehen, um die Treue und Anhänglichkeit auszukosten, die ihm aus Berloz’ Augen jeden Tag mit gleicher Stärke entgegenschienen. Aber heute stand Berloz draußen, vor der Garage, mitten im kalten Regen stand er, so, als wolle er zwar zu seinem Herrn, könne aber nicht; sein Kopf zog den Rumpf weit über die Beine hinaus, daß die zurückblieben, schräggestellt, wie angewachsen, angenagelt, und der Kopf streckte sich noch einmal, dehnte den Hals kläglich in die Länge, die Schnauze klappte auf, daß die Zunge herausfiel, aber Berloz stand draußen, blieb draußen stehen, sosehr Alwin ihn auch anschaute. Alwin war überrascht. Er trat hinaus vor die Garage und sah Berloz an. Weiter würde er ihm nicht entgegengehen. Lieber erschieße ich ihn, dachte er. Der Regen rann ihm in den Nacken. Ob er pfeifen sollte? In die Hände klatschen? Die übliche Willkommenszeremonie erzwingen? Der Regen staute sich am Hemdkragen, weichte ihn auf, sickerte weiter. Warum hatte er nicht gleich gepfiffen? Warum hatte er nicht gleich etwas getan, Berloz zu versöhnen? Alwin ärgerte sich, daß er daran überhaupt dachte! Er hatte das Recht, böse zu sein! Berloz hatte den Brauch verletzt! Er aber, Dr. Alwin nämlich, hatte allen Grund und das Recht, hier an der Garagentür zu warten, bis Berloz auf allen vieren herankriechen würde, um sich, die Schnauze im nassen Kies schleifend und elend winselnd, bei ihm, dem Herrn, zu entschuldigen. Der Regen staute sich, wie er es am Hemdkragen getan hatte, jetzt am Saum des Unterhemdes, auch von den Schultern her wurde es allmählich feucht, Alwin aber stand an der Garagentür und schaute Berloz an und sagte sich zweimal, dreimal vor, daß er im Recht sei, daß er zornig sein dürfe über Berloz’ Verhalten und daß Berloz den ersten Schritt tun müsse. Wo kämen wir da hin! Und: das wäre noch schöner! Und: Sauköter, sagte Dr. Alwin, aber er glaubte nicht, was er sagte, obwohl er im allgemeinen niemandem so viel Glauben schenkte wie sich selbst. Berloz hat etwas gewittert. Dieser Satz schob sich durch alles, was er sich gerne vorgesagt hätte, hindurch und ließ sich nicht mehr vertreiben. Berloz hat etwas gewittert. Nein, der Regen hat ihn verrückt gemacht, der Regen, der schon seit Tagen niedergeht auf Philippsburg, der ist schuld, der hat seine Witterung ertränkt, hat sie zumindest so verwirrt, daß er mich nicht mehr kennt. Berloz hat etwas gewittert. Nein. Na und wenn schon!
Alwin schaute Berloz an. Du kannst ja nicht reden! Und wenn du reden könntest, wollen sehen, ob Ilse dir mehr glaubt als mir. Und überhaupt, gib’s doch zu, du hast nichts gewittert! Parfüm vielleicht? Na und? Das schlägt sich so an einen hin im Lauf eines Tages, wenn man mit Publikum zu tun hat! Aber was Spezielles, was Verfängliches hast du nicht gewittert!
Alwin gab sich energische Kommandos und marschierte dann nach diesen Kommandos ins Haus, Berloz in weitem Bogen umgehend. Ilse erwartete ihn. Alwin pfiff, bis er Ilse die Hand gab, grüßte und pfiff gleich wieder und verfiel wie unabsichtlich sogar ins Singen.
Hoffentlich hatte Ilse nicht beobachtet, wie er mit Berloz gekämpft hatte. Was sollte er sagen, wenn sie ihn gleich fragte? Na, sie wird schon nicht fragen. Bloß jetzt nicht gleich unsicher werden, nur wegen dieses regentollen Hundes, er, Herr Dr. Alwin, und unsicher, dazu war er zu gut trainiert, dazu gehorchte ihm einfach sein Blutkreislauf zu gut. Er mußte Ilse ja nicht gegenübersitzen, das wäre schwieriger, jetzt ein ruhiges Gespräch mit ihr; aber sich umziehen, den Kopf in den Schrank stecken, sich in alle Schubladen selbst hineinbücken, weil man sich von einer Frau wie Ilse einfach nicht bedienen läßt – und das Dienstmädchen hat sicher wieder ihren freien Tag, wie immer, wenn man es braucht – , Ilse zur Eile zu mahnen, da sie doch beide in einer halben Stunde schon zu einer wichtigen Party
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