Ehen in Philippsburg
Trostlos. Er war überflüssig. Aber aussprechen durfte er nicht, was hier zerstört worden war. Das durfte nicht einmal gedacht werden. Jahrelang auf dieses leuchtende Ziel zu. Keine Zerstörung hatte er gescheut. Und jetzt, da er frei war, jetzt…
Seine Augen waren nicht mehr seine Augen. Cécile war nicht mehr Cécile. Hier saßen zwei jämmerliche Wesen in einer verrotteten Wohnung. Saßen einander gegenüber, ohne sich auch nur ein einziges Mal länger als eine Sekunde anschauen zu können.
Benrath versuchte diese Stimmung in sich zu fördern. Er versuchte, mit Cécile in einer gemeinsamen Ohnmacht zu verbleiben. Er wollte zumindest so tun, als trügen sie alles gemeinsam. Er versuchte, dieses Schwert zu unterdrücken, das in sein Bewußtsein dringen wollte, diese gleißende Helle, die von allen Seiten hereinschwang, diesen Ruf, der sich nicht mehr abweisen lassen wollte; bitte nicht jetzt, bitte erst, wenn ich draußen bin, erst in der Bahn, nicht solange ich bei Cécile sitzen muß, sitzen will, ich liebe sie doch, das war doch nicht umsonst, all die Jahre, Cécile, sie antwortet nicht, am besten wäre es, aufzustehen und zu gehen, auf später zu verweisen; keinesfalls darf sie merken, daß sie allein ist, daß sie allein trägt, was geschehen ist. Er wußte jetzt, daß Cécile schon in die Vergangenheit glitt. Sie war zusammengekettet mit Birga. Und Birga hatte sie mitgerissen. Er hatte nichts dazu getan. Er hatte es festgestellt. Mit der schwerelosen Grausamkeit eines Männerhirns hatte er festgestellt, daß er allein weiterging. Cécile blieb zurück. Bei Birga. Er würde ihr schreiben. Es war unwirklich, aber er stand auf und ging hinaus, ohne Lärm zu machen. Es wurde ihm nicht schlecht. Er litt nicht an Atemnot. Kein Auto überfuhr ihn. Und der Beamte, der ihm die Fahrkarte nach Paris aushändigte, lächelte sehr freundlich.
Hätte er seine Einsicht unterdrücken sollen? Hätte er lügen sollen? Cécile zuliebe. Natürlich machte ihn diese plötzliche Einsicht nicht fröhlich. Er würde weder Cécile noch Birga vergessen. Es wäre lächerlich, das auch nur zu versuchen. Birga und Cécile waren zusammengekettet. Zwillinge können sich nie so nahe kommen. Er blieb allein. Gewissermaßen frei. Für was?
Daß er Céciles Wohnung so rasch hatte verlassen können, war ihm selbst unbegreiflich. In ihm handelte jemand, der ihm voraus war, der schon sehr viel älter war, vielleicht schon alles hinter sich hatte, der ihn nachzog, Schritt für Schritt, und er hatte zu folgen, hatte die Stufen zu betreten, wenn sie sich unter seine Füße schoben. Gelogen hatte er wahrscheinlich in der Zeit, in der er gesagt hatte, es sei ihm unmöglich, sich von Cécile zu trennen. Und doch: er hatte damals nicht gelogen. Erst jetzt war es möglich geworden. Er hätte gerne jeden Stern einzeln vom Himmel herunter- und zum Zugfenster hereingezogen, um ihn zum Zeugen anzurufen, daß er Birga und Cécile nie vergessen werde, daß er sogar sein ganzes künftiges Leben… Sein Theater spielte. Er agierte in allen Rollen. Er pfiff sich aus. Klatschte Beifall. Glaubte sich kein Wort. Bewies sich, daß alles nur gesagt werde, um die Flucht vor Cécile zu entschuldigen, den Verrat an ihr, den zweiten Mord. Dann wieder: wenn ich bei Cécile geblieben wäre, hätte ich Birga vergessen müssen. Cécile wußte selbst, daß das ein lächerlicher Versuch geblieben wäre, Cécile wußte, daß Birga uns getrennt hat. Ich wollte es mir nicht eingestehen. In Céciles Gesicht stand es.
Er schlief ein, nachdem er glaubte, lange genug über alles nachgedacht zu haben. Eine Schlaftablette wäre überflüssig gewesen.
III
Verlobung bei Regen
1
Herr Dr. Alwin hupte zweimal, dreimal, obwohl er wußte, daß Ilse ihn ohnedies herfahren hörte, aber er hupte noch einmal, sie sollte glauben, er sei übermütig und voller Freude, sie wiederzusehen, und noch einmal hupte er und bot dann mit so viel Schwung von der Straße auf den Gartenweg ein, daß der regennasse Kies aufrauschte und gegen den Wagen prasselte. Mit einem Sprung war Dr. Alwin bei der Garagentür, dann fuhr er den Wagen rasch, aber mit großer Ruhe und ohne Angst um seine Kotflügel in die Garage und fing ihn eine Handbreit vor der Stirnmauer ohne Ruck und Härte ab. Daß es Menschen gab, die mit Autounfällen zu tun hatten, verstand Dr. Alwin nicht, überhaupt Unfälle! Alwin lächelte. Stümper! Und wenn man über Tote hätte lächeln dürfen, dann hätte Alwin über jene
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