Ehen in Philippsburg
schon, was geschehen war.
Dreimal war sie angerufen worden. Von Freundinnen. Benrath sah seine sämtlichen Bekannten auf Telephone zustürzen, in Telephonschnüre verstrickt, die auf und zu klappenden Münder dicht an den Muscheln. Wahrscheinlich wollte es jeder jedem mitteilen, jeder wollte der erste sein, der besser Informierte. Cécile hatte gut daran getan, allen drei Anruferinnen gegenüber – denn selbstverständlich war es das Vorrecht der Frauen, die Nachricht durch die Telephonleitungen in möglichst viele Häuser hineinzuflüstern – die Überraschte zu spielen, so hatte sie doch jeder die Freude bereitet, es vorher gewußt zu haben. In lange Gespräche war sie nicht verwickelt worden, weil die Damen in Eile gewesen waren, möglichst rasch den nächsten Bekannten anzurufen, um so oft wie möglich die Laute der Bestürzung, der Überraschung, des Erstaunens, des Mitleids oder gar der nur schlecht verhüllten Genugtuung zu genießen. Benrath hatte das Gefühl, die Nachricht raschle unter seinen Füßen durch, in den Erdleitungen, in den Kabelbündeln, ein zischendes Getier, das voll Eifers in die Häuser drang, durch die Telephonhörer in die Ohren, in die Hirne, um sich festzusetzen, um ins Blut einzugehen und sich dem ganzen Körper als eine Empfindung mitzuteilen, die der Mund dann in Form eines Urteils in endloser Vervielfältigung weitergeben konnte… Cécile sollte ihn anschauen. Aber sie ordnete Bastdeckchen nach Farben, schichtete sie zu einzelnen Stapeln, trug diese zu einem schwarzgebeizten Regal, stieß die schon Gestapelten wieder um, einzelne Deckchen segelten hastig schwappend zu Boden, Cécile bückte sich, sammelte geduldig auch das letzte Deckchen wieder ein, tauchte mit gerötetem Gesicht auf, strich sich die Haare aus der Stirn, drehte sich rasch wieder zum Regal, dann bat sie ihn plötzlich – er hatte bis dahin nichts getan, als ihr schweigend zugesehen –, den Laden zu verlassen, weil er doch alle Kunden kenne, weil sie einfach nicht die Kraft habe, wenn jetzt jemand käme, zu dritt ein Gespräch zu führen über das, was vorgefallen sei. Benrath bat, sie möge den Laden schließen und mit ihm in ihre Wohnung gehen. Sie lehnte ab. Ganz sicher würden im Lauf des Tages einzelne Damen aus dem gemeinsamen Bekanntenkreis sich in ihrem Geschäft einfinden, um das Ereignis zu besprechen. Was würden die denken, wenn Céciles Geschäft geschlossen wäre! Ein Trauerfall in der Familie, was! Oder Flucht? Ein Verdacht schieße schnell auf. Und überhaupt… Cécile verstummte. Benrath spürte, daß er jetzt etwas sagen mußte. Jetzt mußte er den Ton angeben, in dem sie von dem Vorgefallenen sprechen konnten. Noch war nichts entschieden, noch hatten es beide absichtlich vermieden, ihre eigene Meinung zu sagen. Und der Ton, in dem sie davon sprechen würden, würde gleichzeitig die Entscheidung enthalten über ihre Beziehung zueinander. Darum sag’ etwas Alf! »Und überhaupt…« hat Cécile gesagt. Sie hat nicht weitergesprochen. Ist das Absicht? Will sie dir den Vortritt lassen? Fordert sie dich damit auf, kundzutun, was nun werden soll? Oder kann sie einfach nicht weitersprechen, wenn sie daran denkt? So wie Benrath selbst es seit vorgestern abend so gut wie nur möglich vermieden hatte, das zu berühren, was man am besten in Zukunft vielleicht »den Vorfall« oder »jenen Vorall« nennen sollte! Er hatte nichts zu sagen. Cécile schaute ihn immer noch an. Da trat fast unhörbar, wahrscheinlich weil er Bastschuhe trug, Claude ein und grüßte. Durch die in der Mitte gespaltene, dunkelgrüne Matte, die den Ladenraum vom Lager trennte, glitt er herein, als ginge er gar nicht, als werde er auf winzigen Rädchen hereingerollt; die Hände hatte er in den Taschen vergessen. Wenn er Benrath sah, wurde sein immer trauerbereites Gesicht noch um eine Spur trauriger als sonst. Benrath versäumte auch keine Gelegenheit, den Maler mit lauter Stimme, so daß möglichst viele Leute es hören konnten, in ein Gespräch zu verwickeln, das nur ein Ziel hatte: Claude zu einem halbwüchsigen Buben zu machen, von dem weder in der Kunst noch in irgendeinem anderen Bereich etwas zu erwarten sei. Benrath wurde ganz gegen seinen Willen so laut bei diesen Unterhaltungen mit Claude. Ihn reizte dieses Gesicht und alles, was er von dem Kerl wußte, ihn reizte der leise, vor Höflichkeit fast winselnde Ton der Antworten, die der zarte Maler vorsichtig aus seinem schönen Mund entließ. Hoffentlich schickte ihn
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