Ehen in Philippsburg
daß er Büsgen entdeckt habe, worauf auch sie zu Büsgen hinschaute und eine fröhliche Überraschung im Gesicht auffahren ließ. Alwin setzte an, dem Chefredakteur über alle hinweg zuzuprosten, schüttelte dann aber den Kopf, das sei doch zu unwürdig, das könne er sich und dem verehrten Chefredakteur nicht antun, rief seiner Frau, von der er sich schon entfernte, laut zu, daß er noch einen lieben Freund begrüßen müsse, und steuerte mit energischen Bewegungen auf Büsgen zu. Zuvor hatte er sich aber noch vergewissert, daß der Herr und die Dame, mit denen Büsgen am Fenster stand, für den Chefredakteur nicht so wichtig sein konnten, daß er Alwins Einmischung etwa hätte übel aufnehmen können. Natürlich entschuldigte er sich trotzdem für sein Hinzutreten und benutzte diese Entschuldigung gleichzeitig zu einem Kompliment für Büsgen: er bringe es nicht über sich, selbst auf die Gefahr hin, unhöflich zu sein oder zu scheinen, die Anwesenheit eines Mannes wie Harry Büsgen nicht zu würdigen, der Versuch, mit ihm in ein Gespräch zu kommen, sei ihm jeder Mühe und jedes Risikos wert. Er richtete seine Entschuldigung auch an die einzige Dame des kleinen Kreises, den er störte. Hätte Alwin nicht gewußt, daß der Chefredakteur die Männer den Frauen vorzog, er hätte es nie riskiert, ihn im Gespräch mit dieser Dame zu stören, denn diese Dame war Cécile. Einen einflußreichen Mann in einem Gespräch mit ihr zu stören, wäre für den Störenden eine große Dummheit gewesen. Alwin war jetzt sogar einen Augenblick lang unsicher, ob Büsgen ihm sein Erscheinen nicht doch verübelte. Es war immerhin denkbar, daß Cécile sogar einem Büsgen das Blut wieder in die rechte Richtung trieb. Daß Cécile ihm sein Eindringen nicht übelnahm, glaubte er sicher zu wissen. Er küßte ihr die Hand, richtete sich auf und ließ sein Gesicht überströmen vor Zuneigung und Verehrung und zeigte Cécile, daß er ihr alles, was er hatte, zu Füßen lege, seine Gegenwart und seine Zukunft, vor allem seine Zukunft! Verstand sie ihn? Spürte sie, daß er ihr zuliebe alles tun würde? Er genierte sich nicht, ihr die deutlichsten Blicke ins Gesicht zu bohren. Warum auch! War sie nicht eine Art Künstlerin! Sie trug kühne Kleider. Farben, die auf ihn wie Bekenntnisse wirkten. Und von ihren Ohren baumelten heute wieder Gehänge, die sie in seinen Augen aus dieser Gesellschaft heraushoben, sie zur Gesetzlosen machten, zur Wilden! War sie nicht eine böse Verführerin? Das trug sie doch nicht umsonst! Das hat doch alles seinen Sinn, seine Bedeutung. Wahrscheinlich nimmt’s die nicht allzu genau. Bitte, ihn konnte sie haben, sie mußte es doch bloß mit den Augen andeuten, nur eine winzige Bestätigung geben. Warum hatte sie ihn noch nicht besucht oder wenigstens angerufen, sie mußte doch wissen, daß er Benraths Anwalt war, genierte sie sich, wollte sie nicht zugeben, daß sie mit dieser Sache was zu tun hatte, Kinder, Kinder, so naiv konnte diese Frau nicht sein, das hatte sich doch herumgesprochen, und man wußte ja aus Erfahrung, daß jedes Gerücht eine Wellenbewegung war, ausgelöst von einem wirklichen Stein…
Alwin, der Cécile an diesem Abend beobachtete, wo immer er konnte, der seine Augen immer wieder in die ihren bohrte, um sich zu ihr hinzudrängen, sie auf sich aufmerksam zu machen, Alwin bemerkte allmählich, daß in Céciles Gesicht eine Veränderung vorgegangen war: ein Zucken ihres linken Mundwinkels machte ihn darauf aufmerksam. Ohne jeden Anlaß, gewissermaßen mechanisch, zuckte dieser Mundwinkel immer wieder nach oben, rasch hintereinander, ohne daß diese Zuckung in irgendeinem anderen Teil des Gesichts eine Entsprechung gefunden hätte. Plötzlich blieb der Mundwinkel dann eine Weile hochgezerrt stehen, man sah unwillkürlich hin, verlangsamte seine Worte, wenn man mit ihr sprach, unterbrach sogar den eigenen Redestrom, um ihr Gelegenheit zu geben, ihr Gesicht wieder in Ordnung zu bringen (so wie man im Reden innehält, wenn sich der Gesprächspartner die Nase putzt, oder wenn er niesen muß, weil man weiß, daß der andere in diesem Augenblick nichts hört): sie aber schien es überhaupt nicht zu bemerken, wenn der Mundwinkel so lächerlich in die linke Gesichtshälfte hinaufragte und nicht mehr zurückwollte. Es war, als gehöre ihr dieser Mundwinkel nicht mehr, als sei das ein Tier, dem sie es vor so langer Zeit schon gestattet habe, in ihrem Gesicht sein Wesen zu treiben, daß sie es inzwischen
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