Ehen in Philippsburg
ersten Mal in greifbarer Nähe vor sich hat. Alwin entnahm diesem Blick, daß Büsgen an ihm interessiert sei. Wahrscheinlich war Alwin für den Chefredakteur jetzt interessant geworden, weil er ein Mitgründer der CSLPD war. Aber gerade, als der Chefredakteur den Mund öffnete, um auf Alwins Gratulation zu antworten, sah er zu der rundbogigen Holzpforte hinüber, die vom Grünen Salon in die Volkmannsche Hausbar führte, und lenkte auch die Blicke der anderen dorthin: Frau Volkmann war erschienen und mit ihr das Verlobungspaar und ihr Mann.
Die Gäste reagierten mit einem deutlichen Raunen, strömten zur Bar und bildeten einen großen Kreis: manche applaudierten sogar leise, ließen aber, weil sich die Mehrzahl der Gäste nicht anschloß, ihre Hände wieder sinken. Alwin war auf dem Weg zu den Gastgebern wieder zu seiner Frau gestoßen. »Ich habe mit Mauthusius gesprochen«, flüsterte Ilse. Alwin nickte anerkennend. Mauthusius war Verwaltungsdirektor der Philippsburger Staatstheater und ein christlicher Politiker. Alwin hätte seine politische Laufbahn eigentlich lieber in offener Konkurrenz zu den bestehenden Parteien begonnen, hätte gerne öffentliche Reden gehalten gegen die führenden Männer dieser Parteien, aber Ilse hatte ihm bewiesen, daß es bei weitem vorteilhafter sei, sich den Kredit der Herrschenden zu sichern, sich als ein Mann zu geben, der zwar in dieser oder jener Einzelheit eine eigene Meinung hat, der aber doch ein Demokrat ist, ein Mann also, dem man Vertrauen entgegenbringen darf, auch wenn er eine neue Partei gegründet hat. Ilse hatte gesagt: sie müssen dich für eine Spielart ihrer selbst halten, für einen Mann, den man vielleicht sogar noch gewinnen kann. Das sei, wenn die neue Partei »nicht ziehe«, und damit müsse man auf jeden Fall auch rechnen, die beste Möglichkeit, seine politischen Pläne weiter zu verfolgen. Deshalb hatte Ilse empfohlen, man müsse mit den Herren der anderen Parteien Bekanntschaft machen und dauernde Verbindungen schaffen. Alwin scheute die rückhaltlose Offenheit, mit der Ilse über seine politische Laufbahn sprach. Sie machte keinen Hehl daraus, daß es ihr gleichgültig sei, welche Partei Alwin benutze, um nach oben zu kommen, während er es vorgezogen hätte, auch zu Hause so zu sprechen wie er es in der Öffentlichkeit tun mußte. Er wäre am liebsten auch vor sich selbst als ein Mann dagestanden, dem es um eine Idee zu tun war, der eine Vorstellung von einem besseren Zustand aller irdischen Verhältnisse hatte, eine Vorstellung, die er als Politiker zum Wohl aller verwirklichen mußte. Eine solche Vorstellung, nährt man sie nur lange genug und mit allen Kräften, beflügelt das Bewußtsein, wird zu einer übermächtigen Musik, nach der man selbst tanzen und die übrige Welt tanzen lehren kann. Für Ilse waren das Umwege, Sentimentalitäten, sie liebte nüchterne Überlegungen und zielstrebiges Handeln. Für sie war Mauthusius eine Figur auf einem Schachbrett, eine klar umrissene Möglichkeit, die man in die eigenen Pläne einsetzen konnte, für ihn aber war der Verwaltungsdirektor der Philippsburger Staatstheater der ehemalige Chef seiner Mutter, der Mann, der ihr fabelhaftes Gedächtnis entdeckt hatte, der sie seinen prominenten Gästen als das zoologische Wunderwesen präsentiert hatte, dem man im Vorbeigehen auf die Schulter klopfte und beifällig zulächelte und sich einen Augenblick überlegte, ob man ihm besser ein Stück Zucker oder ein Trinkgeld zusteckte; man entschied sich dann aber doch für das Trinkgeld und erzählte es nachher, wenn man unter sich war, als ein Beispiel dafür, wie zerstreut man doch sei, ein Zuckerstück für die gedächtnisstarke Garderobenfrau, aber sie stehe auch hinter ihrem Tisch, schaue einen an wie einen im Zoo die Vierfüßigen anschauten… Mit diesem Herrn sollte er vernünftig sprechen! Sollte sich in ein gutes Licht stellen, sich empfehlen! Wie viel lieber hätte er an ihm vorbeigesehen, hätte den Tag abgewartet, da der zu ihm kommen mußte, sich durch drei Vorzimmer filtern lassen mußte, um zu ihm, dem mächtig gewordenen Politiker vorgelassen zu werden. Aber sicher hatte Ilse recht. Er mußte vergessen, wer Herr Mauthusius war, auch wenn der ihn anschauen würde, als wollte er sagen: ach ja, Sie sind doch der Sohn meiner Garderobenfrau, natürlich, na, wenn Sie auch so ein Gedächtnis haben, dann können Sie’s ja zu was bringen… Frau Volkmann hatte zu sprechen begonnen. Begrüßungsworte für die
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