Ehen in Philippsburg
so schnell wie möglich zu beweisen, daß sie, die geborene von Salow, ihn zu Recht geheiratet habe. So kam es denn, daß das Ehepaar Alwin Schulter an Schulter vorwärts drängte, mit zusammengebissenen Zähnen, die Halssehnen bis zur Zerrung angespannt, weil das Kinn energisch den hohen Zielen entgegengereckt werden mußte. Manchmal machten die beiden auch den Eindruck von Hundertmeterläufern, die zu zweit auf einer einzigen Bahn gestartet sind, um einander besser anspornen und unterstützen zu können gegen die Konkurrenten, die, jeder für sich, auf den anderen Bahnen laufen; so sehr drängten sich die beiden bei diesem Lauf auf einer Bahn, daß es schon ein rechtes Wunder war, wie wenig sie sich gegenseitig behinderten. Bei Unterhaltungen in der Gesellschaft wirkte sich das oft so aus, daß sie beide gleichzeitig, und ohne daß es verabredet sein konnte, genau dasselbe sagten, weil sie beide Angst hatten, der andere würde vielleicht nicht rechtzeitig sagen, was in diesem Augenblick um des gemeinsamen Ansehens und Vorankommens willen gesagt werden mußte.
»Siehst du, was ich gesagt habe: es gibt nichts zum Essen«, flüsterte seine Frau ihm zu, nicht ohne dabei rasch ihren spitzen Ellbogen auszuscheren und ihn in Alwins Rippen zu stoßen, nicht böse, nicht so kräftig, daß es hätte schmerzen können, nur um ihrem Mann die Tatsache, daß ihre Voraussage wieder einmal eingetroffen sei, so nachhaltig wie möglich im Gedächtnis zu verankern. Sie liebte solche Gedächtnishilfen, weil sie ihr ganzes Eheleben auf eine Art Punktsystem aufgebaut hatte; das heißt, es wurde sehr genau gezählt und im gemeinsamen Gedächtnis bewahrt, wer wann in welcher Sache recht und wer unrecht gehabt hatte. Weil sie weit vorsichtiger in ihren Urteilen war als ihr oft recht ungestümer Mann, führte sie in der allmonatlichen Auszählung regelmäßig mit großem Punktabstand. Und dieser eheliche Zweikampf war nicht bloß eine Spielerei, er war für Frau Alwin ein Mittel, ihren Mann für die Außenpolitik der Familie zu schulen, ihn zur Mäßigung, zur Klugheit und zum richtigen Einsatz seiner Talente zu erziehen. Zweifellos liebte sie ihn, aber noch enger fühlte sie sich ihm als seine Lehrmeisterin verbunden, als die Quelle seines Selbstbewußtseins, die Trainerin für den Lebenskampf, als Waffenschmiedin und Königin zugleich, der zuliebe er alles zu vollbringen hatte. Frau Alwin lebte ökonomisch, das war ihr hervorragendster Zug. Sie hatte vor ihrer Ehe Psychologie studiert, hatte sich dabei aller Illusionen entledigt – viele hatte sie nie gehabt –, war dann zur Juristerei übergegangen, weil sie diese Wissenschaft für noch nützlicher hielt. Die menschliche Natur glaubte sie durchschaut zu haben. Deshalb war sie immerzu selbstsicher und von lächelnder Überlegenheit all denen gegenüber, die von Träumen, Farben oder von Musik sprachen und sich bis zur Atemnot einem Erlebnis hingaben. Frau Alwin wollte sich nicht verzehren, Begeisterung und Rausch verachtete sie. Alwin war stolz darauf, daß seine Frau, wenn sie gerade einen Film gesehen hatten, schon im Aufstehen und Hinausgehen – wenn alle anderen noch befangen sind, verschämt die Augen wischen und einander nicht anzusehen wagen – sofort anfangen konnte, laut und ungeniert harte Urteile über das Gesehene zu formulieren. Ihre immer wache Lust zur Ironie hatte ihr den Ruf eingetragen, eine geistreiche Frau zu sein. Ihr Mann förderte diesen Ruf, wo immer er konnte, weil er glaubte, die Qualitäten seiner Frau eines Tages für seine politische Laufbahn einsetzen zu können.
Dr. Alwin hatte die Verlobungsgesellschaft, die allmählich in den Grünen Salon eingeströmt war, mit einem einzigen Blick überflogen, gemustert und taxiert. Er würde sich heute abend vor allem mit Harry Büsgen unterhalten, der mächtige Chefredakteur war von allen Anwesenden der wichtigste Mann für ihn. In eben dem Augenblick, da er dies dachte, fühlte er auch den Ellbogen seiner Frau an seiner Seite, und mit einer nach allen Seiten lächelnden Miene flüsterte sie ihm scharf, fast zischelnd zu: »Büsgen ist da.« Er nickte bestätigend, drehte sich gleichzeitig in die Richtung, in der Büsgen stand, hielt sein Sherryglas in halber Höhe so lange vor sich hin, bis Büsgens Blick zufällig zu ihm herfiel, hob dann rasch sein Glas vor den Mund, tat einen Augenblick überrascht und erfreut, flüsterte (so daß es Büsgen deutlich sehen konnte) seiner Frau zum Schein die Neuigkeit zu,
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