Ehen in Philippsburg
erspart. Dem jungen Alwin war es nicht recht wohl gewesen beim Gedanken an dieses Ereignis. Ihn wunderte, daß seine Mutter jetzt gar so viel Aufhebens von ihrem Gedächtnis machte. Früher hatte sie höchstens darüber gelacht, wenn jemand ihr deswegen ein Kompliment gemacht hatte, oder es war ihr gar selbst nicht recht gewesen, wenn allzuviel davon gesprochen worden war. Alwin begann sich zu schämen für das, was die Herren mit seiner Mutter veranstaltet hatten. Ihm kam es jetzt vor, als hätten sie sich etwas Unanständiges erlaubt mit ihr, er wußte selbst nicht, warum er jetzt so darüber dachte, er spürte bloß, daß ihm seine Mutter widerlich wurde, wenn sie davon zu erzählen anhob, wenn sie zu prahlen begann; sie, die früher nicht daran erinnert sein wollte, sie prahlte jetzt, zitierte die lobenden Sätze der Herren und beschloß ihre Schilderungen jedes Mal mit der sinnlosen Aufforderung, daß ihr das zuerst einmal jemand nachmachen solle. Heute wußte Alwin, warum er sich damals für seine Mutter geschämt hatte. Die Herren hatten aus seiner Mutter eine zoologische Sensation gemacht, eine Schaunummer, eine Jahrmarktsunterhaltung, eine Kollegin der Dame ohne Unterleib und der Flohbändigerin, und sie hatten sich amüsiert, weil sie mit ihrem Hundegehirn alle Kleidungsstücke brav apportiert hatte, auch nicht ein einziges hatte gefehlt. So hatte Alwin im Laufe der Zeit den Ruhm seiner Mutter anders einschätzen gelernt. Ein Ansporn war ihm dieser traurige Ruhm geworden, ein Ansporn wie die auf der Strecke des Lebens frühzeitig gescheiterten Verwandten. Er war froh, daß seine Mutter nicht mehr lebte. Um dieses elenden Ruhmes willen war er froh, weil sie, je älter sie geworden war – auch als sie schon lange nicht mehr in der Garderobe arbeitete, auch als sie schon lange Frau Präsidentin geworden war – weil sie immer noch auf jenem Ruhm bestand und bei jedem Anlaß, insbesondere bei Sportfesten, in der lächerlichsten Art und Weise an ihre Leistungen erinnerte, an ihre große Zeit, so, als wolle sie den anwesenden Sportheroen und anderen hervorragenden Festgästen sagen, daß sie ja auch einmal eine Art Spitzensportlerin gewesen sei oder gar eine Künstlerin, eine Virtuosin. Es war zu einer Manie geworden und am Ende sogar zu einer Art Geisteskrankheit.
Alwin wollte seine Herkunft nicht vergessen. Er hielt es sich immer wieder wie einen Ausweis, wie eine Photographie vor seine Augen, daß er ein Emporkömmling war: Buchhalter war sein Vater ehedem gewesen; und weil er in diesem Stand in eine wohlgegründete und rechte Karriere keinen Eingang fand, hatte er – weil das seinen Anlagen entsprach – im Sport eine Möglichkeit gesucht, nach oben zu kommen. Auf keine andere Weise hätte Alwins Vater bei seiner Bildung und bei seinen Fähigkeiten ein Präsident werden können. Aber er hatte damit immerhin ein Signal gegeben. Er hatte mit seinem Leben auf die Familie Alwin aufmerksam gemacht, hatte einen Hinweis gegeben, daß in dieser Familie Energien ruhten, das war genug. Und dann hatte er auch noch seinen Sohn protegieren können. Allerdings nicht so, wie die ungebildeten Verwandten das gern darstellten, so mächtig war er nie gewesen. Aber in den Rundfunkrat war Dr. Alwin gewählt worden: als Vertreter der Interessen des Sportverbandes. Dieses erste politische Amt seines Lebens hatte er tatsächlich dem Einfluß und Ansehen seines Vaters zu verdanken, denn er hatte zum Sport keine Beziehung außer der, daß er der Sohn des Landesverbandspräsidenten war.
Er wußte, daß er, um vorwärtszukommen, mit anderen Mitteln würde arbeiten müssen als etwa ein von Salow. Nicht daß er abgleiten würde ins Ungesetzliche, aber er mußte mit sich selbst und mit den Menschen, die seinen Weg kreuzten, härter umgehen, als ein von Salow es vielleicht getan hätte. Er konnte nicht warten, bis sein Wesen, seine Tüchtigkeit von selbst erkannt und anerkannt werden würden, er mußte sich prägen wie eine Münze und mußte diese Münze anbieten, sie rasch in Umlauf bringen, in möglichst vieler Leute Hände.
Gott sei Dank verstand ihn Ilse. Sie war sehr schlank, eher mager, und sie dachte rasch und ohne Umwege. Sie war zwar eine geborene von Salow, hatte Zeit im Rücken und viel Sicherheit, aber sie verstand ihn so sehr, daß er manchmal verwundert meinte, vielleicht seien die Unterschiede zwischen denen von Salow und einem Alwin doch nicht gar so groß, wie er geglaubt habe. Seine Frau trieb ihn nämlich an,
Weitere Kostenlose Bücher