Eheroman (German Edition)
mich denkst. Aber die Art, wie du das alles immer tust, ist sehr unerwachsen und fast ein bisschen rücksichtslos.»
«Unerwachsen? Warum?» Sie kriecht in sich zusammen, auf ihrem Sofa, drückt sich in eine Ecke und betrachtet den schwarzen Himmel hinter den Scheiben, über den ein Hauch oranger Wolkenwatte zieht, angestrahlt von der gnadenlos hellen Stadt, die die ganze Nacht in Betrieb ist und keine Ruhe bekommt.
Konstantin seufzt. «Ich will dir ja eigentlich gar nichts Böses sagen, ich fühle mich auch zu müde dafür. Das ist eben der Nachteil, wenn man alt ist. Man kann die Fehler der Jüngeren nicht ertragen, man wird ungeduldig und intolerant. Tut mir leid, es ist wohl doch mein eigener Fehler. Ich bin ein mürrischer alter Mann.»
«Meinst du, ich hätte dich schon früher mal anrufen sollen? Bist du böse, weil ich mich nicht gemeldet habe? Aber du hast dich auch nicht gemeldet.»
«Ava, ich bin zu alt und zu eingebildet, um mich zum Narren zu machen.»
«Ja, sicher. Ich wollte auch nur …» Sie schnieft. Sie weiß selber nicht mehr, was sie wollte und weshalb Konstantin jetzt plötzlich der Gewinner ist.
«Nun weine nicht», sagt Konstantin und klingt belustigt. «Im Großen und Ganzen machst du es alles sehr gut. Wirklich. Du musst nur sehen, dass du nicht in dieser Sache hängen bleibst.»
«In welcher Sache, Konstantin?», schluchzt sie jetzt, als wäre sie in den Armen des Weihnachtsmannes, der alles weiß und ihr in allem helfen und zur Seite stehen wird.
«Sieh zu, dass du glücklich wirst, Liebes, sonst bist du irgendwann alt wie ich, und dann kriegst du nur noch Bröckchen davon.»
«Bin ich ein Bröckchen gewesen?», fragt sie und kichert mit ihrem nassen Gesicht wie ein dankbares Kind.
«Du bist ein Brocken gewesen, ein großer Brocken. Aber noch einmal kann ich so etwas nicht. Das bringt mich, ganz ehrlich, das bringt mich um, Ava.»
Sie nickt, unsichtbar für ihn, vor sich hin und wischt sich ihre Tränen ab. Konstantin hat aufgelegt. Er ist weg von ihr, er hat sich schon längst für sich verabschiedet und hat die Sache durchgestanden, sie aber hatte keinen Gedanken daran verschwendet, dass es für ihn eine so schwere, quälende Erfahrung gewesen sein könnte.
Ava schaltet den Fernseher an, breitet sich auf dem Sofa aus, zieht die karierte Wolldecke über ihren Körper und lässt die Töne, das Gerede und die Bilder an sich vorbeischwimmen, als läge sie in einem kleinen Boot, als bräuchte sie nichts tun, als still dazuliegen, und die Landschaft zöge an ihr vorbei wie ihr Leben.
Herbert Glaubacker öffnet ihr die Tür und lächelt, als er sie erkennt. Seine Wangen sind gerötet, sein weißes Haar ist nass über den viereckigen Schädel nach hinten gekämmt, und er ist ordentlich gekleidet, in eine neu aussehende blassbraune Cordhose und ein weißes Hemd unter einem wolligen, schwarzen Pullunder.
«Immer herein in die warme Stube», sagt er. Und die warme Stube empfängt Ava mit ihrem ganz eigenen Glaubackergeruch, der sich scharf in ihre Nüstern bohrt. Der Geruch ist scharf, aber nicht unangenehm, wie sie das leider auch oft kennt, aus den Wohnungen von alten Leuten, die sich nicht mehr pflegen. Eher erinnert der Geruch an sehr altes, aus der Mode gekommenes Eau de Toilette, an feuchtes Papier, getrocknete Blumensträuße und Tabakkrümel, es riecht nett, findet sie, wirklich nett. Herbert Glaubacker nutzt Avas Besuch immer, um einkaufen zu gehen. Er zieht sich ordentlich an, er kämmt sein Haar und ordnet seine Pfandflaschen in sein kariertes Einkaufswägelchen und schreibt einen Einkaufszettel. Wenn Ava kommt, steht alles bereit, der Zettel liegt auf dem Küchentisch, das karierte Einkaufswägelchen steht neben dem Schrank, und Herr Glaubacker eilt, kaum ist sie da, zur Tür hinaus.
Antonia Glaubacker sitzt zusammengekrümmt in einem Sessel und lächelt nicht. Antonia Glaubacker redet mit Ava kein Wort. Sie kann es nicht ertragen, dass ihr Mann sie, und sei es zum Einkaufen, im Stich lässt. Antonia Glaubacker leidet an Osteoporose zum einen und an Angst zum anderen. Ava hat bereits mit ihrer Ärztin darüber gesprochen, und sie sind sich darin einig, dass das fürsorgliche Verhalten von Herbert Glaubacker gegenüber seiner Frau ihrer Zurückgezogenheit und ihren Ängsten förderlich gewesen ist. Wenn er sie nicht rundherum versorgt hätte, wenn er nicht für jede Anwandlung von Ängstlichkeit Verständnis gezeigt hätte, wenn er sie gezwungen hätte, auf die Straße
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