Eheroman (German Edition)
vierundachtzig Jahre alte Frau mit Osteoporose keinen Sex mehr hat, und schon gar nicht die lebensmüde Frau Glaubacker. Ava hilft Frau Glaubacker auf den Duschstuhl und stellt die Dusche an, während sie selbst mit der anderen Hand das Wasser prüft. Sie weiß, wie warm es Frau Glaubacker mag, sie mag es nur lauwarm. Sie hat Angst vor richtig warmem Wasser, wie vor allem, was intensiv und heftig in ihr Leben brennen könnte. Während sie Frau Glaubacker vorsichtig duscht und ihr beim Waschen hilft, sagt sie plötzlich: «Wissen Sie, wir werden ja auch alle alt, wenn Sie das tröstet.»
Sie kann nicht erkennen, inwieweit sich Frau Glaubacker auf diese Bemerkung hin regt, wahrscheinlich ist ihr auch das ziemlich egal. Darum wagt sie sich weiter vor. «Wir sitzen auch irgendwann auf so einem Duschstuhl, und eine Frau vom Pflegedienst kommt und duscht uns ab. Und wir können dann auch nichts dagegen tun, und wir fühlen uns dann auch beleidigt, weil sie uns nackig auszieht und alles.»
Keine Regung von Frau Glaubacker. Das Wasser läuft über ihren krummen, von braunen Flecken überzogenen Rücken. Die Haut auf ihrem Rücken ist glatt und nicht so runzelig wie vornerum. Die Haut hat sich von hinten herum nach vorne gezogen und ergibt eine Glätte auf dem gespannten hinteren Teil. «Aber wir reden dann vielleicht mit der Frau vom Pflegedienst und sagen ihr, was uns nicht passt.»
Schweigen.
«Wir haben alle unsere Probleme.»
Wasser. Haut. Schweigen.
«Aber wir – reißen uns zusammen. Jeden Tag reißen wir uns zusammen.»
–
«Sind wir fertig? Wir sind fertig, denke ich. Sollen wir ein neues Handtuch nehmen? Wir nehmen hier das mit den Rosen.»
–
«Sie könnten auch mal fröhlich sein, trotzdem. Wenn Sie einfach mal ein Lachen rausquetschen? Das Gefühl kommt dann schon hinterher. Glauben Sie nicht? Ich auch nicht. Aber ich probiere es wenigstens!»
–
«In die Unterbüx rein. In die saubere. Diese nicht. Die tun wir in die Wäsche, denke ich.»
–
«Ich würde eher vielleicht vor Wut alles kaputtschlagen … oder jemanden umbringen … ehe ich so eine stumme Leiche in einem Sessel werde.»
(Das war zu viel, Ava. Das ist unprofessionell.)
«Tut mir leid, Frau Glaubacker. Das war Blödsinn.»
Sie schiebt Frau Glaubacker fast etwas drängelig, sie am Oberarm fest packend, mit ihrem Rollator zurück ins Wohnzimmer. Sie hilft ihr in ihren Sessel und spürt immer noch die in ihr selbst hochsteigende kalte Wut wie einen Pfahl in ihren eigenen Wirbeln, Wut über die stumme, traurige Duldsamkeit der verbogenen alten Frau. Sie denkt, dass sie doch ihrem fürsorglichen Mann die Stirn bieten könnte, die Möglichkeit, glaubt sie, hat doch jeder, der denken und der sprechen kann, theoretisch wenigstens und von den Möglichkeiten her.
Dann, als Herbert Glaubacker mit seinem karierten Wägelchen das Wohnzimmer betritt und seine Frau, mit seinem vom Wind noch rötlicher als vorher eingefärbten, vor Gesundheit fast platzenden breiten Gesicht anlächelt, weiß sie nicht mehr, weswegen Antonia Glaubacker ihrem Mann böse sein sollte. Es ist nicht seine Bewegung auf sie zu, gegen die sie anzukämpfen hätte, es ist ihr eigener Blick, der aufgrund ihrer ganz eigenen Erfahrungen, die zu teilen nicht wirklich jemand in der Lage ist, und sei es auch, er lebte hundert Jahre mit jemandem zusammen, einen Punkt fixiert, der ihm unsichtbar bleibt und den sie ein winziges Stück zu verschieben hätte. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun. Antonia Glaubacker hat eine schwere Krankheit, die sie zu tragen hat, sie kann damit freundlich und demütig umgehen, oder sie kann es nicht. Es ist ihre Entscheidung, und es ist eine Entscheidung, kein Schicksal, die Krankheit ist das Schicksal, das alles hundertmal besprochen in der Ausbildung und mit den psychologischen Betreuern im Krankenhaus. «Geht es gut?», fragt Herbert Glaubacker, in der Hand eine große, braune Ananas schwenkend und ein bisschen keuchend von der Anstrengung auf der Treppe, die er das Wägelchen hochgezogen hat.
Ava zuckt mit den Schultern. Sie kommt sich schlecht vor. Sie hat sich von einer ihr anvertrauten, kranken alten Frau aus der Ruhe bringen lassen, sie hat, wie ihr Vater immer sagte, die Contenance verloren. Wegen nichts, wegen ihres Schweigens. Wegen sich selbst und ihrem eigenen Fixpunkt und ihren eigenen Entscheidungen.
Sie packt die Einkäufe in den Schrank, die Kinder streiten in ihrem Zimmer wegen einer Zeitschrift, ein herrenloser
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