Eheroman (German Edition)
Abwesenheit, bestellt sie am Abend Salamipizza für sich und die Kinder. Sie fühlt sich matt und frei von Verpflichtungen, weil Danilo nicht da ist, obwohl es eher die Kinder sind, die die Verpflichtungen des Haushaltes erzeugen. Sie sitzen auf dem Sofa vor dem Fernseher, essen Pizza und sehen die Simpsonsfolge, in der Bart für fünf Dollar seine Seele an Milhouse verkauft.
«Ich würde meine Seele nicht verkaufen», sagt Merve, die sich in einen hellblauen Bademantel gewickelt hat, weil sie vorher geduscht hat. Jeden Tag ist sie jetzt am Duschen mit einem Vanilleduschbad, das sie sich selbst von ihrem Taschengeld bei Budnikowski gekauft hat. Dazu sprüht sie sich ein pinkfarbenes Rexona-Deo an ihren kleinen Körper, dass es Ava fast das Herz zerreißt, weil sie sich von ihrem eigenen süßen Duft entfernt und diesen sexuellen, klebrigen Kram auf sich schmiert. Aber sie hat nicht die Kraft, es ihr zu verbieten, weil Merve so freudig und so unschuldig in die Welt des Teenagerseins eintaucht, mit allem, was diese Welt an Verlockungen mit sich bringt. Auch weil sie weiß, dass sie selbst ganz genauso gewesen ist und ihre eigene Mutter sich nicht darum geschert hat. Ein Deo galt in Avas Kindheit als ein harmloses Konsumgut, anders als jetzt, wo es schädliche, Allergien auslösende Chemie darstellt. Aber sie sagt nichts. Sie hat recht, aber sie sagt nichts.
«Ich ja», sagt Martin, der alles tun würde, was Bart Simpson tun würde. Martin ist am Waschen weniger interessiert. Er hockt in seiner verschmutzten Jeans und in einem hellblauen Unterhemd auf dem Teppich und isst dort, auf seinen langgestreckten Beinen die Pizzaschachtel liegend, seine Pizza, wobei ihm Stücke davon wieder aus dem Mund fallen, während er antwortet.
«Es ist ja nicht wirklich seine Seele, es ist nur ein Stück Papier», sagt Ava. «Er will ihn ja nur reinlegen.»
«Und wenn es seine wirkliche Seele wäre?», fragt Martin.
Merve tippt sich an die Stirn. «Seine wirkliche Seele gibt es gar nicht.»
«Doch, gibt es doch. Das kenne ich ganz genau, das Wort. Sonst würde es das Wort doch nicht geben, oder?»
«Ja? Was ist das denn?», sagt Merve.
Martin schweigt und verfolgt mit leicht offen stehendem Mund die Sendung. Die Geschichte entwickelt sich nicht gut für Bart Simpson, erkennt Ava.
«Das sagt man nur so, seine Seele verkaufen, wenn man meint, dass jemand, für Geld zum Beispiel, etwas macht, das er eigentlich, in seinem Herzen, nicht gut findet. Weil die Seele ja so etwas ähnliches wie das Herz bedeutet. Wo die Gefühle herkommen.»
«Also das Gehirn», sagt Merve.
«Genau genommen ja.»
«Also das Gehirn», beharrt Merve auf ihrer Feststellung. Sie hasst es, wenn Ava über Gefühle oder das Herz oder solche Dinge redet, die ihr sentimental erscheinen, obwohl sie selbst sehr an solchen Dingen interessiert ist. Nur eben nicht in Verbindung mit ihrer Mutter. Da wird sie schnell spöttisch und fast zynisch.
«Wenn er sein Gehirn verkauft, kann er ja nicht mehr denken», sagt Martin. «Mein Gehirn würde ich nicht verkaufen.»
«An deiner Stelle würde ich es machen, das ist bei dir ja egal», sagt Merve.
Martin erhebt sich abrupt, wobei die Pizzaschachtel von seinen Oberschenkeln springt und die angekauten Pizzaränder auf den Teppich rutschen. Er schlägt, noch in der Bewegung, Merve gegen die Oberschenkel, und Merve brüllt, zu laut: «Du kriegst es gleich wieder, du Arsch!»
Ava hält sie fest und drückt sie auf das Sofa zurück. «Sag so was nicht, immer ärgerst du ihn!», sagt sie, und zu Martin: «Du kannst gleich draußen weiteressen, letzte Warnung! Hier wird nicht geschlagen.»
Sie hört sich dabei, die Modulation ihrer Stimme, ihre Bewegung, und spürt den robusten Griff an Merves Bademantelarm, als wäre sie ihre eigene Mutter, dieselben Sätze, dieselben Drohungen, mechanisch ausgesprochen, kühl durchdacht, rational handelnd, weil sie solche Streitigkeiten nicht berühren und sie weiß, was sie tun muss, wenn es nicht nervig ausarten soll. Die Kinder wissen es auch und wissen es zu schätzen. Sie setzen sich grummelnd und zufrieden zurecht. Sie zählen auf sie und ihr Eingreifen, sie benutzen ihre Mutter als Puffer; wären sie tatsächlich sich selbst überlassen, auf einer Insel oder wenn die Eltern abends nicht da sein sollten, fänden diese Streitigkeiten nicht statt, weiß Ava. Der Streitschlichter produziert den Streit wie der Arzt die Krankheit und der Schirm den Regen.
Sie verwirft den Gedanken. Als
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