Eheroman (German Edition)
Dennoch wäre er bald sehr viel benutzter und zerschrammter, als Danilos Koffer das in gleicher Zeit wäre, denn ihre Dinge zerschrammen stets und zerknittern und verknicken und verschleißen, wie es Danilos Dinge nie tun. Danilo sagt immer: «Das liegt daran, dass du nicht ordentlich damit umgehst.» Das stimmt aber nicht. Sie geht damit nur mehr um als er. Sie schafft es einfach nicht, die Dinge in Ruhe zu lassen und zu vergessen. Sie benutzt sie viel mehr, so kommt es ihr vor. In ihrem eigenen Koffer bewahrt sie auf dem Dachboden ihre Winterpullover und die Stiefel auf. Danilo vergisst seine Dinge, er rührt sie nur so oft an, wie er unbedingt muss, und auf diese Weise bleiben sie neu und bekommen den etwas ranzigen Geruch des lange wartenden und nie abgeholten Gepäckstücks.
«Ist dir das nicht peinlich?», fragt sie ihn, als sie am Flughafen auf dem Kurzzeitstellplatz zusieht, wie er den Koffer auslädt und sich eine Zigarette anzündet, bevor er sich von ihr verabschiedet.
«Was?», fragt Danilo und grinst, weil ihm von vornherein klar ist, dass nichts ihm peinlich sein würde, jedenfalls nichts, von dem Ava wissen könnte. Diese Sicherheit macht sie noch wütender.
«Der Aufkleber auf deinem neuen Koffer.»
«Sonic Youth. Warum soll mir das peinlich sein, Ava?»
«Weil es ein Aufkleber ist, den du auf deinen Koffer geklebt hast, Danilo.» Wie ein Teenager, würde sie gerne hinzufügen, verkneift es sich aber.
Danilo zieht tief an seiner Zigarette, die Hand auf die Heckklappe gestützt, den Blick in den grauen, weiß markierten Beton gebohrt. Dann wirft er den Stummel auf die Erde, wo er leise vor sich hin glimmt. «Weißt du überhaupt, wer Sonic Youth ist?»
Ava starrt ihn an. «Sonic Youth?»
«Du kannst ruhig sagen, wenn du es nicht weißt. Du musst nicht alles wissen, das ist keine Schande, wenn man nicht alles weiß. Du kannst dich mit anderen Dingen beschäftigen, die dich interessieren, mir wäre das völlig egal.»
Auf dem Koffer nur der Schriftzug. Sie kennt dieses Wort, und sie denkt, es ist eine Band, sie denkt, sie hat die Musik schon gehört, aber sie ist sich nicht sicher. Sie überlegt. Wenn es keine Band ist? Der Parkplatz ist mit einem Euro fünfzig für fünfzehn Minuten bezahlt.
Danilo sagt: «Ich gehe dann.»
«Ich weiß, was Sonic Youth ist.»
«Was? Oder wer?»
«Eine Band.» Sie wartet.
Danilo nickt friedlich und plötzlich fast liebevoll. «Eine Band, eine ganz phantastische Band, hör sie dir mal an. Zu Haus liegen Platten rum, hör sie dir einfach mal an, wenn du Zeit hast. Ich hätte gedacht, du hast sie schon gehört, ich habe sie gehört. Hör dir ‹Dirty› an oder ‹Daydream Nation›. Ganz toll. Wo warst du, wenn ich sie gehört habe?»
Ava zuckt mit den Schultern. Wo war sie, wenn er sie gehört hat? Wo? «Es interessiert mich eigentlich nicht», sagt sie, um ihn zu verletzen.
Danilo nimmt seinen Koffer. «Grüß die Kinder!» Er haucht ihr einen Kuss auf die Lippen, und sie spitzt die ihren wie in einem Reflex und küsst ihn zurück.
Dann geht er hinüber zum Flughafen, ein großer Mann mit einem runden, wuscheligen Kopf, elegant und mit einem glänzenden blauen Koffer mit einem Sonic-Youth-Aufkleber. Er geht mit geraden, weit ausholenden Schritten, leicht federnd, selbstsicher, ertragend, dass sie ihn nicht mehr so liebt wie irgendwann einmal. Er weiß es, denkt sie. Er weiß alles, aber es ist ihm egal. Er will nur, dass alles so bleibt, weil es ihm egal ist, ob sie glücklich ist. Er ist glücklich. Seine Voraussetzungen für sein Glücklichsein sind erfüllt. Seine Arbeit, seine Kinder, sein Haushalt, in dem es alles so wunderbar läuft, seine Reisen, seine Kollegen, sein glänzender Koffer und Sonic Youth, es ist so vieles für einen einzigen Menschen, und es fügt sich zusammen, zu einem erfüllenden, auf eine sehr präzise Art ausgeklügeltem Daniloglück. So scheint es ihr, während sie den warmen Motor startet und im Dunst des Innenraumes ihres Wagens, der auch Danilos Teilchen und seinen Geruch, seine nachhallende Stimme und seine Gedanken sogar enthält, ihrem Zuhause entgegenfährt.
Danilo fährt nach Kroatien, nach Split, zu seinem Cousin, und später nach Rabac, Alen Floričić interviewen, das erste Mal in seinem Leben fährt er nach Kroatien, hätte sie auf diese Tatsache mehr Rücksicht nehmen und ihn nicht wegen des winzigen Aufklebers kritisieren sollen?
Am ersten Tag seiner Abwesenheit, Ava blickt auf eine ganze Woche seiner
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