Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
wusste ganz genau, dass sie im Recht war. Auch dieser grobe Kerl hatte zu lernen, wie man sich zu benehmen hatte.
»Falls Euch etwas daran liegt, dass wir zusammenarbeiten, solltet Ihr überlegen, wie Eure grundlosen Drohungen auf andere wirken. Wenn die Menschen erst verstockt sind, werdet Ihr nie etwas erfahren.«
Der Hauptmann giftete: »Meinst du, ich wär’ zu dusselig, das nicht selbst zu wissen?«
»Nein. Nur zu ungeduldig. Ohne Rücksicht auf andere zu nehmen, kann man keine vernünftigen Nachforschungen anstellen.«
Wolfram brummte Unverständliches vor sich hin. Agnes versuchte, in seinem Gesicht seine Gedanken abzulesen. Aber er blickte einfach über sie hinweg. Als ein Bekannter an ihnen vorbeiging, machte er ein freundliches Gesicht und lächelte, doch schon im nächsten Augenblick war er wieder in seinem Unmut erstarrt.
Agnes atmete tief durch. Sie wollte diesen groben Klotz unbedingt formen. Sie war sich sicher, dass sie das konnte. Sie hatte schon so manches Kind, so manche junge Frau im Unterricht gehabt, die auf nützliche Anleitung und ein gutes Beispiel positiv reagiert hatten. Warum sollte das nicht auch bei einem Mann in den besten Jahren gelingen? Niemand konnte so verhärtet sein, dass er nicht auf vernünftige Anleitung einging.
Ihre Stimme zitterte leicht: »So gehen auch Freundschaften kaputt.«
Sein Blick senkte sich langsam zu ihr hinunter. »Was soll das heißen?«
»Ich sollte Euch doch zeigen, wie man sich gegenüber anderen benimmt. Besonders gegenüber Frauen.«
»Ja, und?«
»Dabei auf einen Freund zu hören, ist einfacher als auf einen Fremden.«
Der Hauptmann zog die Augenbrauen hoch und blickte sie durchdringend an. Langsam entspannte sich sein Gesicht. Ein kaum wahrnehmbares Lächeln erschien. »In Ordnung«, stellte er fest. »Wenn wir Freunde sein sollen, dann müsst Ihr …«
»Nein!«, unterbrach ihn Agnes. »Kein Abendessen zu zweit. Und das mit der Hochzeitsfeier morgen überlege ich mir noch.«
Der Hauptmann lachte laut. »Du lässt einen ja nicht ausreden. Wenn wir Freunde sind, musst du mich Wolfram nennen und ich dich Agnes.«
Die junge Frau entspannte sich wieder. Schon wieder war ihr Mundwerk schneller gewesen als ihr Verstand. Aber diesmal war es nicht so schlimm. »Damit bin ich einverstanden, Wolfram.«
Sie setzten ihren Weg gemeinsam fort. Unterwegs erzählte Agnes von ihrer Arbeit als Scholasterin im Kloster Möllenbeck, von den schönen Erfahrungen als Lehrerin, von den Freuden, die sie durch das Studieren in alten Büchern erlebt hatte, von verschiedenen Kirchenlehrern, die so viele erbauliche Predigten und Ermahnungen verfasst hatten.
Schließlich erreichten sie die Martinitreppe, die sie zur Oberstadt hinaufstiegen, gingen an der altehrwürdigen Kirche St. Martini vorbei und erreichten das Haus des Gabriel von Wiesen, des Schwagers des verstorbenen Händlers Bode, in der Ritterstraße. Ein ansehnliches und recht neues Haus. Die Geschäfte des Wollwebers waren offensichtlich erfolgreich. Zusätzlich zu seinem Wohlstand kam auch noch das Ansehen, das er als Zunftmeister der Wollweber hatte. Eindeutig – Gabriel von Wiesen stellte etwas dar in Minden.
Wolfram von Lübbecke klopfte an die Eingangstür. Nur wenige Augenblicke später öffnete ihnen eine Frau von etwa fünfzig Jahren. Sie trug ein Kleid aus schwerem, schwarzem Stoff und eine ebenso dunkle Haube. Mit unruhigem Blick musterte sie den unangemeldeten Besuch.
Nach der Begrüßung kam der Hauptmann umgehend zum Anlass des Besuches: »Wir müssen mit dem Herrn von Wiesen sprechen. Könnt Ihr uns zu ihm führen?«
Die Frau blickte nervös zwischen dem Hauptmann und der Unbekannten hin und her. Zaghaft antwortete sie: »Mein Mann ist leider nicht da.«
»Ach ja? Wo ist er denn jetzt?«
»Bei Meister Naumann, in der Kampstraße. Das Haus genau gegenüber der Friesenstraße.«
»Na gut. Dann werden wir ihn eben da befragen.«
Doch ehe sich Wolfram verabschieden konnte, mischte sich Agnes ein: »Einen Augenblick bitte, werte Frau von Wiesen. Erinnert Ihr Euch an den Abend, an dem Euer seliger Schwager umkam?«
Sie nickte.
»Wo war Euer Mann an jenem Abend?«
Wieder schaute sich Frau von Wiesen verlegen um. Sie hielt ihre Hand vor den Mund und räusperte sich mehrmals. Sie versuchte Zeit zu gewinnen. Sie machte einen schüchternden, unsicheren Eindruck und wollte sicherlich nichts Falsches sagen. Schließlich antwortete sie: »Mein Gabriel kam an dem Abend erst spät heim. Er war
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