Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
es jetzt gewaltig. So etwas konnte und durfte er sich nicht gefallen lassen. »Du willst mich doch nur schlechtreden, damit du dein eigenes Gewissen beruhigen kannst. Du wirfst mir doch nur das vor, was du auch selbst tun würdest! Oder schon längst getan hast!«
»Du … du …« Was erlaubte er sich? Ihr so etwas zu unterstellen! Eine Frechheit! Sie hob ihre Hand, um ihm eine Ohrfeige zu versetzen, doch dann fehlte ihr der Mut. Ihre Hände zitterten und sie merkte, wie ihr schwindelig wurde. Unter Aufbietung all ihrer Kräfte schleuderte sie ihm ein »Verdammter Spinner!« entgegen. Die Tränen rannen ihr über die Wangen. Sie fühlte jetzt ganz deutlich, wie viel Kraft die Anstrengung und Anspannung der beiden letzten Tage gekostet hatten. Sie musste dringend zur Ruhe kommen. »Ich hasse dich!«, zischte sie noch und eilte davon. Augenblicke später war sie nach rechts in die Kampstraße abgebogen und in Richtung der gemeinsamen Unterkunft verschwunden.
Ludolf stand vor Bestürzung wie erstarrt. Wie war es denn jetzt schon wieder so weit gekommen? Seitdem Agnes mit diesem Hohlkopf unterwegs war, war sie noch launischer als sonst. Was hatte der ihr bloß für Flausen in den Kopf gesetzt? Ludolf musste immer wieder an den Ratsherrn denken, der vor dem Ruf des Hauptmanns gewarnt hatte. Warum hörte sie nicht auf Ludolfs Warnungen? Sie hielt seine Sorge um ihre Ehre und ihr Wohlergehen für Eifersucht. Lachhaft!
Es tat ihm so leid, dass Agnes wegen dieses dummen Streits angefangen hatte zu weinen. Das hatte er nicht gewollt. Er hätte sich lieber nicht auf dieses Wortgefecht einlassen sollen. Andererseits wusste auch Agnes, wie ihre Streitereien meistens endeten.
Schnellen Schrittes folgte er der Straße bis zur nächsten Ecke und dann die Kampstraße entlang. Hier musste sie irgendwo sein. Als er ihre Unterkunft an der Ecke Brüderstraße fast erreicht hatte, sah er sie. Sie stand wartend vor dem Haus, während dieser Einfaltspinsel von Hauptmann gerade auf sie zukam. Ludolf wurde langsamer, war aber nur noch wenige Schritte entfernt.
Mit einem gequälten Lächeln begrüßte sie Wolfram. »Was führt dich denn hierher? Bist du nicht auf der Hochzeit?«
»Ich hab mich kurz verdrückt. Ich wollt dich fragen, ob du nicht doch Lust hast mitzukommen?«
In diesem Augenblick bemerkten die beiden Ludolf. Agnes erstarrte, als sie ihn sah. Aber nur für einen kurzen Augenblick. Schnell drehte sie sich wieder zum Hauptmann herum. Ihr Lächeln war verkrampft, aufgesetzt. »Natürlich, ich komme gerne mit«, antwortete sie zuckersüß.
Ludolf klang heiser. Seine Stimme zitterte: »Sei vorsichtig.«
Ganz langsam drehte sie ihren Kopf in seine Richtung. Höhnisch entgegnete sie: »Lass mich bitte mit deiner krankhaften Eifersucht in Ruhe. Was ich tue, geht dich überhaupt nichts an.«
Demonstrativ hakte sie sich bei Wolfram ein, der sich ihrer Spöttelei anschloss: »Werd am besten erst mal erwachsen, Kleiner.«
»Ich kann allein auf mich aufpassen«, setzte Agnes nach.
Dann schritten die beiden davon. Ludolf hörte sie tuscheln und kichern.
Wütend und enttäuscht ging er ins Haus und warf sich auf sein Bett. Sah sie denn nicht, was der Kerl von ihr wollte? Wie blind muss man sein, um das nicht zu bemerken? Am liebsten hätte er ihn verprügelt. Und Agnes gleich mit. Vielleicht würde sie dann endlich wieder zur Vernunft kommen. Gut zureden half ja nicht mehr!
Ludolf schlug voller Zorn mit der Faust gegen die Wand. Das Einzige, was er davon hatte, waren ein stechender Schmerz im Handgelenk und abbröckelnder Putz. Er schimpfte laut vor sich hin. Dann sprang er auf und schrie gegen die Wand, als wäre Agnes in ihrem Zimmer nebenan: »Was du kannst, kann ich auch. Ich wollte mich sowieso mit Susanna treffen. Die ist jedenfalls nicht so biestig wie du. Die ist viel netter, vernünftiger und sanftmütiger. Wir werden ja sehen, wer den schöneren Abend haben wird.«
Hochzeitsfeier
Lachend und nun wieder bester Laune ging Agnes neben Wolfram durch die Stadt. Sie freute sich immer noch über Ludolfs dummes Gesicht, als sie ihn einfach stehen ließen. Er hatte wie ein kleiner Junge ausgesehen, den man auf frischer Tat beim Kirschenklauen erwischt hatte. Sein verschämtes »Sei vorsichtig« war doch der blanke Hohn gewesen. Er sollte lieber darüber nachdenken, wie seine ständigen Vorwürfe sie berührten, ja geradezu verletzten. Sie war schließlich erwachsen und keine kleine Göre, auf die man ständig aufpassen
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