Ehrbare Händler: Historischer Kriminalroman (German Edition)
musste.
Außer Sichtweite von Ludolf hatte Agnes Wolframs Arm losgelassen, was ihm nicht sonderlich gefallen hatte, aber sie beobachtete ihn genau. Sein Lachen war herzlich und offen. Und er konnte sie mit kleinen Episoden unterhalten, die er im Laufe der Jahre als Wachsoldat erlebt hatte. Er erzählte von dummen Dieben, Betrügern, die selbst hereingelegt wurden, und kuriosen Streitereien zwischen Nachbarn. Seine tiefe Stimme passte ausgezeichnet zu seiner stattlichen Erscheinung.
Ein paar Straßen weiter trafen die beiden auf einige Leute, die vor einem Haus standen und sich angeregt unterhielten. Es war die Hochzeitsgesellschaft, die sich zum großen Abendessen in Vetter Klaudius’ Haus versammelte. Eine bunte Schar unterschiedlichster Menschen: Mann und Frau, jung und alt, die einen festlich gekleidet, die anderen eher einfach. Einige hatten Humpen in der Hand und gönnten sich ein frisches Bier oder einen gewürzten Wein.
Agnes hielt nun betont Abstand zu Wolfram. Sie wollte keinen unnötigen Anlass für Gerede geben. Es sollte klar sein, dass sie nur eine gute Bekannte war, die freundlicherweise mitkommen durfte. Als ein paar Gäste den Hauptmann erblickten, stürmten sie auf ihn zu und empfingen ihn mit großem Hallo. Agnes wurde zwar auch begrüßt, aber kaum beachtet.
Nach einiger Zeit winkte Wolfram Agnes zu sich. »Lass uns reingehen. Ich brauch jetzt ’n Bier.« Er wollte sie an die Hand nehmen, aber sie verwehrte es ihm.
»Geh voran! Ich komme schon hinterher«, forderte sie ihn auf.
Etwas beleidigt ging er ins Haus und sie folgte ihm. Sie begrüßte im Vorbeigehen die anderen Gäste, doch nur wenige erwiderten ihren Gruß mit einem Lächeln. Verwundert stellte sie fest, dass die meisten nichts sagten, sondern nur böse guckten. Einige drehten sich sogar demonstrativ von ihr fort. Andere schüttelten missbilligend den Kopf.
Im Innenhof des Hauses stand ein Bierfass, aus dem jemand einen Becher nach dem anderen mit dem süffigen Getränk füllte. Wolfram von Lübbecke drückte Agnes ein Trinkgefäß in die Hand und nahm dann selbst eines, das er in einem Zug leerte. Schon hatte er sich den zweiten Becher genommen. Nachdem er ihn ebenso schnell geleert hatte, hatte er schon den dritten in der Hand.
Aber Agnes war nicht nach Trinken zumute. Sie fühlte sich unwohl, weil so viele der Anwesenden sie misstrauisch anstarrten. Dabei war sie doch nur mitgekommen, um Ludolf eins auszuwischen.
»Was ist los? Mach nicht so’n Gesicht. Wir wollten doch hier unsern Spaß haben.« Wolfram blickte erstaunt auf sie hinunter.
»Ich weiß nicht so recht. Ich habe das Gefühl, ich bin nicht willkommen. Die Leute … Sie schauen mich so ablehnend an.«
»Ach was!« Wolfram machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das ist nur am Anfang der Fall. Nachher, wenn alle was gegessen und getrunken haben, werden die schon freundlicher. Außerdem kennen die dich noch nich. Fremde werden immer komisch angeguckt. Mach dir nix draus!«
Und schon war der Hauptmann von Lübbecke wieder in einem lauten Gespräch mit zwei anderen Männern, die er gut zu kennen schien. Agnes schaute sich vorsichtig um, aber niemand schien sie wirklich zu beachten. Und der Mut, einfach andere anzusprechen oder sich ihnen zuzugesellen, hatte sie verlassen. Unter anderen Umständen wäre das das kleinste Problem gewesen. Sie hatte noch nie Schwierigkeiten gehabt, mit Fremden ein Gespräch zu beginnen. Aber heute … Sie bereute es, mitgegangen zu sein.
Langsam schlüpfte sie zwischen den Menschentrauben hindurch. Alle, die sie anschaute, blickten sofort zur Seite oder drehten sich weg. Agnes lehnte sich ein wenig abseits gegen eine Hauswand und beobachtete enttäuscht den Trubel.
Susanna
Mit klopfendem Herzen schritt Ludolf zum Haus des Baders Kolraven hinüber. Von der Brüderstraße aus war es nur ein Katzensprung: um St. Martini herum, und schon war man da. Plötzlich hörte er, wie jemand seinen Namen rief. Er schaute hoch. Aus einem Fenster des ersten Stocks winkte Susanna. Sie strahlte vor Freude.
»Ich bin gleich da!«, rief sie ihm zu. Und schon war sie wieder verschwunden.
Ludolf betrat das Haus. Da die Dämmerung schon begonnen hatte, konnte er im Halbdunkel anfangs kaum etwas erkennen. Plötzlich wurde eine Tür aufgerissen und Susanna eilte leichtfüßig herbei. Ihr Zopf hüpfte um ihre Schultern. Ohne ein Wort fiel sie ihm um den Hals. Sofort legte Ludolf seine Arme um ihren schlanken, zarten Körper und drückte sie vorsichtig an
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