Ehre sei dem Vater (German Edition)
gestikulierende Hände liebevoll mit seinen
festhielt.
„Außerdem habe ich das Gefühl, sie will sich
immer mehr aus unserem Leben zurückziehen, um ihren langsam echt krankhaften
Trieb, Martin für sich zu gewinnen, in ungestörter Ruhe weiterverfolgen zu
können.“
Julian konnte zwar nichts Krankhaftes an Evas
Verhalten feststellen, musste aber Verenas Feststellung betreffend des immer dürftiger
werdenden Kontaktes bestätigen. Allerdings hatte er das bis jetzt nicht
überbewertet. Schließlich gehörte er im Allgemeinen auch zu den Leuten, die
sich gerne ab und zu ein wenig zurückzogen.
Das mit der Arbeit war natürlich eine etwas
heiklere Situation. Sollte Verenas Vermutung stimmen, würde Eva bald in noch
größeren Schwierigkeiten stecken. Julian wusste, dass sie von ihrer Mutter auf
keine finanziellen Zuwendungen hoffen konnte, zumal diese selbst immer mit
Geldnot zu kämpfen hatte. Dazu hatten die beiden bekanntermaßen sowieso kein allzu
gutes Verhältnis zueinander. Ihr Bruder David konnte mit seinen 23 Jahren
ebenfalls schwerlich als Stütze fungieren. Evas Vater, ein ehemals erfolgreicher
Anwalt, war verstorben, als seine Tochter gerade einmal 11 Jahre alt war. Julian
hatte ihn gut gekannt, weil er als Kind oft bei ihnen zu Hause zu Besuch war.
Er war ein guter Freund seines eigenen Vaters gewesen, und auch dieser hatte
sehr unter dem Verlust des Freundes gelitten. Das war natürlich nichts im
Vergleich dazu, wie wichtig er für seine eigene Tochter gewesen war. Eva war
sein absoluter Liebling gewesen und umgekehrt war auch der Vater alles für sie.
Julian war davon überzeugt, dass ihre irrealen Vorstellungen von einem Partner
auf den frühen Tod ihres Vaters zurückzuführen waren. Sie hatte ihn nach dessen
Tod noch zusätzlich idealisiert.
„Hast du eine Idee, wie wir ihr helfen
könnten?“, fragte Julian.
„Kannst du nicht wieder eine Weile unter irgendeinem
Vorwand bei ihr wohnen?“, verlautete Verena und Julian überkam das Gefühl, als
wäre dieser in diesem Moment so betont spontan dahergesagte Satz von ihr bereits längst vorbereitet gewesen.
Julian hatte, bevor er nach Graz gezogen war,
für beinahe elf Monate bei Eva gewohnt. Sie besaß ein altes, aber sehr
gepflegtes Bauernhaus, das sie von ihren Großeltern väterlicherseits geerbt
hatte. Dieses Haus war bereits zu Lebzeiten ihrer Großeltern ein beliebter
Treffpunkt für die Freunde gewesen, und das Anwesen von Julians Eltern befand
sich nicht weiter als ca. 200 Meter davon entfernt. Die Familie Sandtner war sehr angesehen im Dorf und da Franz Seidl,
Julians Vater, die beiden für ein Paar gehalten hatte, war er hoch erfreut, als
er erfuhr, dass Julian nach nebenan ziehen wollte. Julian zahlte eine geringe
Miete und durfte dafür zwei Zimmer, Bad und WC im oberen Stock für sich
beanspruchen. Die beiden hatten eine tolle, unbeschwerte Zeit miteinander, auch
wenn jeder für sich sein Leben lebte. Evas Mutter bewohnte zusammen mit ihrem
15-jährigen Sohn David eine Altbauwohnung im Nachbardorf. Aus unerfindlichen
Gründen (offiziell, weil sie die Familie
wieder enger zusammenbringen wollte, aber wer Hertha Sandtner kannte, wusste, dass ihr solche Gefühle fremd waren) wollte sie im Mai 1997
plötzlich den ersten Stock des Bauernhauses für sich und David einnehmen, was
zwar schlussendlich von Eva verhindert werden konnte, aber Julian zugleich klar
machte, dass er sich in absehbarer Zeit um eine neue Wohngelegenheit kümmern musste und in Wirklichkeit auch wollte. Seine
Freundin hatte zwar nichts dagegen, dass er ab und zu jemanden mit nach Hause
brachte, aber irgendwie hatte er dann doch immer wieder das ungute Gefühl zu
stören bzw. sich nicht ganz frei bewegen zu können. Außerdem war er nicht
sicher, ob er Eva nicht unbewusst daran hinderte, ihrerseits eine Beziehung
einzugehen. Allein die von ihnen beiden zwar nie bestätigte (aber bis dahin
auch nicht widerlegte) fixe Idee seines Vaters, dass sie ein Paar seien, belastete
ihn doch sehr. Nun war es endlich an der Zeit, seinem Vater reinen Wein
einzuschenken. Er übersiedelte noch am selben Tag mit den wichtigsten Utensilien
wieder ins Haus seiner Eltern. Sein Vater war nicht schlecht erstaunt und
stellte ihn zur Rede. Die darauf folgende Auseinandersetzung war der Anfang
eines neuen Lebensabschnittes für ihn und zugleich das Ende einer ohnehin nicht
einfachen Vater-Sohn Beziehung. Julian war heute nicht mehr sicher, ob der
Zeitpunkt für ein solches Gespräch richtig
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