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Ehre sei dem Vater (German Edition)

Ehre sei dem Vater (German Edition)

Titel: Ehre sei dem Vater (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa May
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ihn
des Nachts einschleichen hören, hatte die obszönen Geräusche über sich ergehen
lassen müssen. Es half auch nichts, das Kissen an den Kopf zu pressen, dazu
waren die beiden viel zu rücksichtslos. Wie sehr sie ihre Mutter verabscheute,
wurde ihr in solchen Nächten noch viel stärker bewusst. In letzter Zeit hörte
sie immer wieder Wortfetzen, die sich nach Streit und Trennung anhörten und das
stimmte Marie gleich wieder ein wenig fröhlicher. Sie hatte ohnehin keine Lust,
diesen ekligen Typen auch noch vorgestellt zu bekommen.

Der Geruch von Knoblauch und Kümmel erfüllte
den Raum. Anna Seidl stand vor dem alten, gusseisernen Herd und bereitete das
sonntägliche Mittagessen für die Familie. „Julian hätte sich allein über diesen
Geruch unglaublich gefreut“, dachte sie. Als er noch ein Kind war, kam er ständig
angerannt, wenn sie den Braten aufgoss, um vielleicht einen kleinen Löffel des würzigen
Fleischfonds zu ergattern. Schweinsbraten war seine absolute Lieblingsspeise. Jedes
Mal, wenn sie dieses Gericht zubereitete, dachte Anna im Stillen an ihren
geliebten Sohn und auch heute hatte sie dieses Gericht mitunter deshalb ausgewählt,
um ein bisschen in Erinnerungen zu schwelgen.
    Mit ihren 69 Jahren war sie noch immer eine sehr
attraktive Frau. Sie war zwar nur knappe 1,60 Meter groß, dafür aber sehr
vorteilhaft proportioniert und schlank. Ihre frisch gefärbten, dunkelbraunen,
kurz geschnittenen Haare wirkten noch wie damals, bevor sie mit 30 Jahren
vorzeitig ergraut waren. Die braunen, ungeschminkten Augen strahlten Ruhe und
Gutmütigkeit aus. Nur ihr leicht gebückter Gang zeigte, dass die lebenslange harte
Arbeit und die Geburt von sechs Kindern nicht ganz spurlos an ihr
vorübergegangen waren. Sie hatte sich nie ein Leben wie das ihre erträumt, wäre
jedoch auch nicht auf die Idee gekommen, sich zu beklagen.
    Als einzige Tochter war sie mit drei jüngeren
Brüdern in einer bescheidenen Behausung im Sölktal aufgewachsen
und musste sich schon früh daran gewöhnen, auf ihre eigenen Bedürfnisse zu
verzichten. Ihr Vater war als Schuster auf der Stör. Die Familie konnte sich
nie darauf einstellen, wie lange er weg sein würde. Er wurde von verschiedenen
Bauern oft kurzfristig gebeten, an einem bestimmten Tag zu kommen und arbeitete
dort, solange er gebraucht wurde, für Essen, einen Schlafplatz und einen nicht
gerade hohen Tageslohn. Oft kam er sogar monatelang nicht nach Hause. Die
Mutter war an einer nie vollkommen geklärten, heimtückischen Krankheit gestorben,
als Anna gerade einmal fünfzehn Jahre alt war. Obwohl selbst noch fast ein
Kind, hatte sie daraufhin die Mutterrolle für ihre Geschwister übernehmen müssen.
Sie kochte, putzte, stopfte und versorgte ihre Geschwister nicht nur mit den
spärlichen Nahrungsmitteln aus dem hauseigenen Obst- und Gemüsegarten, sondern
vor allem mit sehr viel Liebe. Sie vermochte heute nicht mehr zu sagen, wie sie
diesen schweren Weg geschafft hatte, ohne größeren seelischen Schaden zu
erleiden.
    Als sie schließlich mit 25 Jahren ihren
späteren Ehemann Franz kennen gelernt hatte, dachte sie nun endlich ihren
eigenen Weg gehen und nach ihren eigenen Wünschen leben zu können. Die Zeit der
finanziellen Nöte war überstanden. Ihr Auserwählter nannte ein großes
landwirtschaftliches Anwesen sein Eigen, und die bäuerliche Bevölkerung war wirtschaftlich
deutlich besser gestellt als Handwerker oder Kaufleute. Das allein hätte für
sie nie ausgereicht, um eine Verbindung einzugehen - Franz war ihre erste große
Liebe! Seine geheimnisvolle Unnahbarkeit machte ihn noch interessanter. Sie war
überzeugt, im Laufe der Zeit würde er sich ihr öffnen. Darauf wartete sie noch
heute vergeblich.
    Ronny, der gutmütige, alte Schäferrüde, lag satt und träge hinter der Küchentür.
Er warf nur ab und zu einen gelangweilten Blick in die Runde, als die wortkarge
Familie um den großen, hölzernen Mittagstisch saß und der wohlriechende Sonntagsbraten
längst serviert worden war. Der verhältnismäßig große Raum wirkte für
gewöhnlich gemütlich und warm. Heute aber schienen die dunklen Küchenmöbel aus
Eichenholz die Stimmung im Raum widerzuspiegeln. Es war einer dieser
unwillkommenen Apriltage, an denen der Winter wieder seine Nase in
Frühlingsangelegenheiten zu stecken versuchte und die Sonne noch nicht genügend
Kraft aufbringen konnte, ihn mit wärmenden Strahlen wieder zu vertreiben. Ein
kaltes Lüftchen wehte vereinzelte Schneeflocken über die

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