Ehre sei dem Vater (German Edition)
aufmerksam
die eben erst begonnene Unterhaltung.
„Ich weiß nicht, wovon du redest. Ich für
meinen Teil möchte einfach nur Ruhe haben beim Essen!“ Das war wieder einmal
typisch für ihren Vater. Konnte er nicht einmal zugeben, einen Fehler gemacht
zu haben? Ist es wirklich ein Verbrechen nicht so wie die meisten anderen zu
sein?
„Vater, ich frag dich auch nicht, was du
nachts im Bett anstellst und ich möchte es auch gar nicht wissen. Also versuch
auch du, deine Mitmenschen nach ihren Charakter zu beurteilen und nicht danach,
wie und mit wem sie Sex haben!“, platzte es aus Barbara heraus.
Anna hatte schon beim ersten Satz ihrer
Tochter gewusst, was gleich passieren würde: Das Besteck klimperte gegen das
Porzellan und eine Gabel landete auf dem Boden, während Franz seinen noch fast vollen
Teller unsanft von sich stieß und aufsprang. Mit hochrotem Kopf humpelte er in
Richtung Tür, fasste den ebenfalls hochgesprungenen Hund am Halsband und ließ
die Tür mit einem lauten Knall ins Schloss fallen.
„ T’schuldige Mutter, das musste endlich einmal sein!“
Das Essen schmeckte Barbara nach dieser
Auseinandersetzung zwar auch nicht wirklich besser, aber die Ignoranz ihres
Vaters brachte sie immer wieder zur Weißglut. Diese Auseinandersetzung war
nicht die erste dieser Art gewesen, aber bis jetzt hatte Barbara noch nie die
Homosexualität ihres Bruders so direkt angesprochen. Sie konnte und wollte
einfach nicht mehr zu diesem Thema schweigen. Sie hatte endgültig genug von der
verlogenen Scheinmoral ihres Vaters. Für ihn schien nur wichtig zu sein, was
die Leute wohl von ihm und seiner Familie denken würden. Damals, als Julian
endlich den Mut aufbrachte, ihm zu gestehen, dass er Männer liebte, war für
Franz Seidl eine Welt zusammengebrochen. Schon allein die Erwähnung seines
Namens war seitdem ein rotes Tuch in der Familie. Nicht, weil irgendjemand
anderer auch so dachte wie das „Familienoberhaupt“ ( allein diese Bezeichnung, die er sich selbst noch immer häufig gab, machte
Barbara schier wahnsinnig ), sondern weil man ständig seine Wutausbrüche
fürchten musste.
Dich nicht vor mir zu sehn,
was wär das für ein Frühlingsmorgen?
Der Tag wäre nicht mal halb so schön!
Dann könnten Kram und Sorgen,
wieder in Lebensgröße vor mir stehn ! Nach jedem zu Papier gebrachten Absatz starrte sie entrückt auf ihr gerahmtes Lieblingsbild,
das groß und alles beherrschend direkt über ihrem Schreibtisch hing. Es zeigte
ihren Angebeteten mit nacktem, braungebranntem Oberkörper und geschlossenen
Augen, selig vor sich hinlächelnd , auf einem Liegestuhl
vor seinem Haus. Der Unterkörper steckte in einer hellblauen, ausgewaschenen
Jeans, der Gürtel war leicht geöffnet. Diese Aufnahme war ihr im späten Frühjahr
letzten Jahres gelungen. Sie hatte wieder einmal stundenlang bei ihrem
Aussichtspunkt ausgeharrt und auf eine passende Gelegenheit gewartet. Damals war
herrliches Wetter und sie erinnerte sich genau, wie sehr sie bei angenehm warmen
Temperaturen ihre Warteposition genossen hatte. Sie liebte den Kontrast, den
das eindrucksvolle Haus der Bittermanns mit seinen großflächigen Glasfronten
und der modernen Flachdachkonstruktion zu der ländlichen, bodenständigen
Umgebung, darstellte. Sowohl die schlichte, weiß lackierte Haustüre als auch
die mit grünlichen Natursteinen ausgepflasterte, offene Terrasse waren von hier
aus perfekt zu beobachten. Niemand hätte das Haus verlassen können, ohne von
der nicht einmal 200 Meter entfernt wartenden Eva gesehen zu werden. Wenn sie
auf dem dicken Baumstamm saß, war sie von dort nicht wahrzunehmen, obwohl ihr
eigener Blickwinkel geradewegs genial war.
Gedankenverloren wischte sie mit den
Fingerspitzen imaginäre Staubpartikel vom teuren, silberfarbenen Designerrahmen
und versuchte das Bild gerade zu rücken, obwohl es ohnehin nie auch nur eine
Spur schief gehangen hatte. Eva hatte inzwischen völlig verdrängt, dass sich in
der Liege neben Martin damals noch jemand sonnte. Aber diese Person (Eva
vermied es, sie als seine Frau zu bezeichnen) hatte sie selbstverständlich
nicht mit fotografiert, ja sie hatte sogar Martins Hand genau dort
„abgeschnitten“, wo sie ihre berührte.
Nur du mein Augenstern, mein Schatz,
machst den Alltag hell für mich!
In meinem Herzen ist der schönste
Platz
versperrt und reserviert für dich!
Zu öffnen nur mit einem Satz ....... Während sie schrieb,
schien sie die reale Welt um sich gänzlich zu vergessen. In
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