Ehre sei dem Vater (German Edition)
gerade erst mit
frischen Krokussen erblühte Wiese. Durch die vier in sechs kleine Flächen
geteilten Fenster drang nur gedämpftes Licht von draußen.
Anna und Franz Seidl saßen stumm
nebeneinander auf der Längsseite der mit grün kariertem Stoff bezogenen
Eckbank. Ihre Enkelkinder Markus und Harald teilten sich die Querseite und Tochter
Barbara hatte auf einem der drei Sessel Platz genommen.
Barbara hatte vor acht Jahren den Hof von
ihren Eltern übernommen, obwohl sie eigentlich nie vorgehabt hatte, Bäuerin zu
werden. Lange Zeit hatte sie sich sogar dagegen gewehrt. Als fünftes von
insgesamt sechs Kindern war sie ihrer Meinung nach so ziemlich die Letzte, die
sich zur Hofübernahme verpflichtet fühlen müsste. Für gewöhnlich wurden Söhne
bei solchen Entscheidungen vorgezogen und da sie drei ältere Brüder hatte, die
allesamt viel eher als sie dafür in Frage gekommen wären, wähnte sie sich lange
Zeit in „Sicherheit“.
Sie hatte zwar die Höhere Bundeslehranstalt
für Land- und Forstwirtschaft in Raumberg besucht, legte
aber immer besonderen Wert darauf, zu betonen, dass sie diesen Schulzweig
wirklich nur der Einfachheit halber und nicht aus ehrlichem Interesse gewählt
hatte. Sie wollte unbedingt Matura machen, dabei aber
auf keinen Fall in einem Internat untergebracht werden. „Solche
Erziehungsanstalten habe ich ganz bestimmt nicht nötig!“, war immer ihre kurze,
schroffe Erklärung für die besondere Abneigung gegen Internate. In Wirklichkeit
kamen diese Institutionen in ihren gerne gelesenen Jugendromanen nie besonders
gut weg. Deshalb hatte sich Raumberg , das nur wenige
Kilometer von ihrem Elternhaus entfernt war, als erste Wahl dargestellt.
Unmittelbar nach Abschluss ihrer Reifeprüfung
trat sie eine Stellung im Versuchslabor der Bundesanstalt für alpenländische
Landwirtschaft in Gumpenstein an. Wenn sie heute
darüber nachdachte, war auch diese Entscheidung nicht aus reinem Interesse,
sondern viel mehr wegen der Nähe zum Heimathaus von ihr ausgewählt worden. Dabei
hatte sie immer vorgegeben, nicht besonders verwurzelt zu sein.
Barbara war bereits mit 19 Jahren aus dem
Elternhaus ausgezogen und bewohnte zwei Jahre lang eine kleine Wohnung direkt neben
ihrem Arbeitsplatz, ehe sie ihren späteren Ehemann auf einer Tagung in der Oststeiermark
kennen lernte. Noch im selben Jahr wurde sie mit ihrem ersten Sohn schwanger und
zog zu ihrem Manfred nach Pöllau . Im Vergleich zu
ihrer bisher gewohnten Umgebung war die Gegend dort zwar ebenfalls wunderschön
und die Leute nahmen sie sehr freundlich im Ort auf, jedoch fehlten ihr ( wie sie aber erst viel später zugeben konnte )
die heimatlichen Berge schon ein wenig. Ihr Mann hatte, um seine neu gegründete
Familie versorgen zu können, sein Studium für Bodenkultur in Wien abgebrochen
und arbeitete nun seit kurzem als Abteilungsleiter im Einkauf einer Exportfirma
für Düngemittel. Barbara war sehr glücklich in ihrer Beziehung und mit ihrer
Familie, die sich vier Jahre nach ihrem Umzug ans „falsche Ende der Steiermark“
( Originalzitat ihres Bruders Julian )
um einen weiteren Sohn vergrößerte.
Ihre Eltern führten zur damaligen Zeit den
Hof ganz allein, die älteren Geschwister waren allesamt in den letzten 10
Jahren ausgezogen und immer häufiger wurde bei Familientreffen die Frage
gestellt, wer denn nun das Lebenswerk ihrer Eltern weiterführen sollte.
Margit, die Älteste, war als
Ernährungswissenschaftlerin schon am längsten von zu Hause weg, da sie auf dem
Land keine Chancen zur Ausübung ihres Berufes sah. Außerdem schien sie die
denkbar schlechteste Wahl unter den Geschwistern darzustellen. Sie hatte die
Landwirtschaft von allen Seidl-Kindern schon immer am meisten gehasst. Sie
behauptete, die Stallluft bereite ihr Kopfschmerzen und auch sonst bekam sie
alle möglichen Pusteln und Allergien, wenn sie nur in die Nähe der Tiere kam.
Erwin, der Zweitälteste, war nach Deutschland
ausgewandert und hatte sich unweit von Berlin eine eigene Existenz als
Spediteur aufgebaut. Dort lebte er in einem schmucken Haus am Stadtrand mit
Frau und drei Kindern, was sich auch denkbar schlecht mit einer Hofübernahme in
der Obersteiermark vereinbaren ließ.
Gerald, ein gelernter Elektriker, hatte sich
noch nie besonders gut mit seinem Vater verstanden und wollte auf keinen Fall aus
seiner neuen Heimat Trieben - die sich zwar nicht einmal hundert Kilometer von seinem
Geburtsort entfernt befand - wegziehen.
Karoline, die einzige unter den
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