Ehre sei dem Vater (German Edition)
Geschwistern,
die aufgrund ihrer Liebe zur Landwirtschaft wirklich prädestiniert für die Rolle der Hofübernehmerin gewesen wäre, hatte vor kurzem einen Landwirt
kennen gelernt und bewirtschaftete nun gemeinsam mit ihrem Mann ein eigenes großes
Anwesen im Salzburger Tennengau .
Julian, der nur drei Jahre jünger war als
Barbara, lebte damals noch zu Hause, wollte aber unbedingt in seinem erlernten
Pflegeberuf bleiben.
Gerade als Barbara begonnen hatte, sich in Pöllau richtig heimisch zu fühlen, passierte in ihrer alten
Heimat ein schrecklicher Unfall. Bei Arbeiten im Holzberg hatte ein Baum bei seinem wuchtigen Aufprall den linken Unterschenkel ihres
Vaters regelrecht zerschmettert. Franz Seidl gab die ohnehin nichtige Chance,
sich selbst zu befreien, auf, als die Schmerzen unerträglich wurden. Mal
bewusstlos, mal im Schmerzenstaumel verharrte er stundenlang beinahe bewegungsunfähig
auf dem nassen, kalten Waldboden. Erst in den späteren Abendstunden schickte seine
Frau jemanden aus, um nach ihm zu sehen. Der Fuß war nicht mehr zu retten. Er
musste noch in derselben Woche unterhalb des Knies abgenommen werden, und zu
allem Kummer kam die Sorge um den Hof. Von heute auf morgen waren die Seidls
nicht mehr in der Lage, ihn allein zu bewirtschaften. Zunächst dachten die
Eltern sogar an einen Verkauf des Gehöfts, und diese Überlegungen gingen an
keinem der sechs Kinder spurlos vorüber. Wochenlang wurden per Telefon alle
möglichen und unmöglichen Variationen zur Erhaltung des elterlichen Anwesens
unter ihnen besprochen. Zu Barbaras größter Verwunderung war es schließlich ihr
eigener Ehemann Manfred, der sich für die Idee begeistern konnte, mit der
gesamten Familie in die Obersteiermark zu ziehen und Landwirt zu werden.
Bislang kannte er zwar das Leben auf einem Bauernhof nur aus der Theorie, aber
gemeinsam mit der Erfahrung seiner Frau und mit viel Optimismus wollte er das
Wagnis eingehen.
Franz Seidl hatte damals keine besondere Begeisterung
gezeigt, was in seiner Lage nicht weiter verwunderlich war, aber auch in
glücklicheren Tagen nicht seine Art gewesen wäre. Barbara war überzeugt, dass
selbst er im Grunde froh darüber war, dass das Anwesen nicht an Fremde verkauft
werden musste. Es brach ihm das Herz, nicht mehr so aktiv wie früher am
Arbeitsalltag teilnehmen zu können. Zwar lernte er in den nächsten Jahren mit
Hilfe seiner Beinprothese wieder einigermaßen zu gehen, jedoch war an schwerere
körperliche Arbeiten nicht mehr zu denken.
„Seidl/Grabner“ stand seither auf der
Hofeinfahrt zu lesen und das war, neben seiner Behinderung, nicht der einzige
Grund, warum Franz immer trübsinniger und eigenwilliger wurde und den Seinen
das Zusammenleben sehr schwer machte.
Als sich die Familie heute wieder wortlos
gegenübersaß, bereute Barbara, ihrem Mann damals nicht stärker widersprochen zu
haben. Obgleich sie Manfred noch immer dafür bewunderte, wie geduldig er die
Launen ihres Vaters ertrug. Nie stimmte er in seine Schimpftiraden ein, für
jede Widerlichkeit hatte er eine Entschuldigung parat. „Siehst du nicht wie er
leidet“, sagte er nicht selten, wenn sie selbst wegen seiner Unflätigkeiten schon beinahe an die Decke gehen wollte.
Doch heute war Manfred nicht zu Hause und die
Stimmung war drückend. Das ging nun schon seit Jahren so. Wochentags schien alles
ein wenig leichter und etwas gelöster, weil kaum einmal alle Familienmitglieder
gleichzeitig ihr Essen einnahmen. Aber seit der Vater Julian mit groben
Beschimpfungen aus dem Haus gejagt hatte, waren die Wochenenden noch viel
schlimmer geworden. Nicht, dass Franz Seidl jemals ein unterhaltsamer Mensch
gewesen wäre. Nein, im Gegenteil. Aber der Rest der Familie wusste immer
irgendwelche amüsanten Ereignisse zu erzählen und Julian war wie ein munteres
Zahnrad, das den Motor der Familienkommunikation immer wieder in die Gänge
brachte. Obwohl nun schon unzählige Wochenenden vergangen waren, schien seine
Abwesenheit ständig in den Köpfen der Familienmitglieder herumzuspuken .
Die Spannung war regelrecht greifbar. „Können wir nicht endlich wie vernünftige
Menschen miteinander reden?“ Barbara konnte nicht länger still dasitzen. „Jeder
sinniert nur vor sich hin, keiner genießt sein Essen wirklich und wir tun so,
als wär nichts geschehen! Ich ertrage das langsam nicht mehr, wir vermissen ihn
doch alle!“
Ronny hob, offenbar von der veränderten
Stimmung im Raum aufgeschreckt, sein linkes Ohr und beobachtete nun
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