Ehre sei dem Vater (German Edition)
dass es nun sogar in Liebesdingen nach
Plan klappte. So viele positive Schicksalsfügungen würde Eva Sandtner bestimmt nicht auf einmal vertragen. Also
wechselte sie rasch das Thema.
„Wie geht es mit deiner Schreiberei? Kommst
du voran?“ Eva zuckte kurz zusammen. „Viel habe ich noch nicht geschafft. Aber
wenn ich den Kopf endlich wieder frei habe, werde ich bestimmt Material in
meinen alten Unterlagen finden. David will mir dabei helfen.“
„David?“ Jetzt war es an Verena sich zu
wundern. „Seit wann interessiert sich David für Dichtung?“ - „ Interessieren ist vielleicht zuviel gesagt, aber er will mir auf jeden Fall helfen. Ist
doch nett, nicht wahr?“ Verena nickte. David. Der Junge war ihr schon immer ein
wenig seltsam erschienen, aber sie wusste, wie sehr Eva an ihrem Bruder hing. Seit
seiner Kindheit hängt er sich an seine Schwester und er war nicht selten der
Anlass für Evas depressive Verstimmungen. „Das kannst du dem Burschen aber
nicht anlasten!“, tadelte sie sich selbst im Gedanken. „Niemand kann etwas für
die schlechte Gesundheit und das unglückliche Aufwachsen der beiden
Geschwister.“ Sie selbst war zwar auch ohne Vater aufgewachsen, aber zumindest
war ihr Vater noch am Leben. „Hat David seine finanziellen Probleme wieder im
Griff?“, fragte sie. „So ganz sicher bin ich mir da nicht, aber zumindest steht
er jetzt in gewisser Weise ein wenig über den Dingen. Er versteckt sich nicht
mehr in seinem Zimmer und besäuft sich nicht dauernd. Das ist ja zumindest
schon etwas. Sehr gesprächig ist er allerdings nicht, wenn ihn etwas belastet,
aber das liegt bei uns wohl in der Familie. Obwohl ich im Vergleich zu ihm in
solchen Situationen eine regelrechte Plaudertasche bin.“
„Zum Thema Plaudertasche: Ich habe schon
lange kein Gedicht mehr von dir gehört oder gelesen. Hast du nicht was Neues
auf Lager. Komm schon!“ Verena stieß ihre Freundin von der Seite an. „Du weißt
bestimmt eine Passage aus einem deiner Gedichte auswendig.“
„Ich weiß nicht so recht. Zurzeit bin ich
nicht unbedingt auf der positiven Welle und ich kann mir nicht vorstellen, dass
du jetzt die traurigen Zeilen einer frustrierten Poetin hören willst.“ Damit
hatte Eva Recht. „Fang einfach an! Ich unterbreche dich sofort, sobald mir die
Sache zu ernst wird.“
Eva wischte sich mit einer fahrigen Bewegung
den blonden Kurzhaarschopf aus der Stirn. Sie wirkte leicht nervös, aber Verena
wusste, wie gerne sie ihre Gedichte zum Besten gab. An guten Tagen hörte sie
gar nicht mehr auf damit. Sie gestikulierte beim Vortrag wild mit ihren Händen,
senkte und hob theatralisch die Stimme, variierte mit Lautstärke und Tempo, dass
Verena ab und zu (besonders bei sehr ernsten Passagen) damit kämpfte, nicht
loszubrüllen. Doch heute wollte sie sich zusammenreißen. Noch bevor sie diesen
Gedanken zu Ende gedacht hatte, legte Eva los:
Der Materialismus auf dieser Welt,
das ewige Rennen um das große Geld,
ist mehr als verrückt - es ist fatal,
das denk ich nicht zum ersten Mal.
Warum, frag ich mich immerzu,
gibt die Menschheit nicht endlich
Ruh’?
Sie haben alles und noch mehr,
das teure Auto gibt niemand mehr her.
Eine Wohnung in der Stadt und am Land
ein Haus,
für die Armen auf der Welt geht sich
da nichts mehr aus.
Die sollen was leisten und
Verantwortung tragen,
statt sich gegenseitig die Köpfe
einzuschlagen!
Doch wer hat Schuld? Wer hat die
Samen des Hasses gesät?
Sind es die Armen, weil sie sehen wie
gut es uns geht?
Oder bin am Ende auch ich schuld an
der Misere,
weil ich mich nicht gegen all das wehre ?
Mir wird abwechselnd kalt und heiß,
weil ich keine Antwort darauf weiß.
Das Gewissen lastet schwer auf meiner
Brust,
doch gleich darauf überfällt mich
wieder der Frust:
Die wirklich Reichen sollen etwas
geben,
ich habe doch selbst kaum genug zum
Leben!
In dem Moment erblick ich in der
Zeitung eine Frau,
in Fetzen gehüllt, vor Kummer ganz grau,
Ein Blick in ihre Augen hat mich einer
Illusion beraubt:
Man braucht viel weniger als man
glaubt!
„Das war das Einzige, was mir spontan eingefallen ist. Wie findest du es?“
Verena wunderte sich immer wieder aufs Neue, wie kreativ Eva sein konnte. Gut,
sie hatte auch schon so manchen Kitsch von ihr gehört oder gelesen, aber sie
hatte Talent. Als sie die Zeilen vorgetragen hatte, war sie sogar aufgestanden.
Das Glänzen in ihren Augen ließ darauf schließen, dass sie Gefallen an ihrem eigenen
Werk gefunden hatte. Das
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