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Ehre sei dem Vater (German Edition)

Ehre sei dem Vater (German Edition)

Titel: Ehre sei dem Vater (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa May
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sicher, dass sie schon bald wieder richtigen
Zugang zu ihrer Tochter finden könnte. Schließlich war Marie der Pubertät noch
nicht gänzlich entflohen. Da hatten wohl die meisten jungen Mädchen Probleme
mit ihrer Mutter.

    Als Verena kurze Zeit später in die Küche
kam, sah sie das kleine Problem mit
ihrer Tochter schon bei weitem nicht mehr so positiv. Marie hatte sie ganz
offensichtlich nicht kommen gehört. Sie kauerte auf dem Boden, die Beine fest
an ihren molligen Körper angezogen. Vor ihr stand eine ganze Reihe von leeren
Lebensmittelverpackungen: Gurkengläser neben Muffinfolien , Mayonnaisesalat , Schokoladenpapier, Marmeladegläsern
und Schinkenpastetendosen . In ihrer fetalen Haltung -
die verschmierten Hände umschlossen die Knie - schaukelte sie sanft nach vor und wieder zurück, den Blick starr auf den Boden
gerichtet.
    Der erschreckende Anblick ihrer Tochter
versetzte Verena einen Stich in der Magengegend. Sie verspürte das starke
Bedürfnis ihre Hand auszustrecken, Marie zu berühren und ihr zu versichern,
dass alles wieder gut werden würde. Doch gleichzeitig war sie nicht sicher, ob
das im Moment das Richtige wäre. Eine Woge bisher nicht eingestandener
Emotionen brandete über sie hinweg. Tief in ihrem Innersten spürte sie, dass
ihre Tochter sie heute brauchte und dass dieser Abend ganz allein ihnen beiden
gehören sollte. Alexander hin oder her. Er würde das verstehen. Mit drei leisen
Schritten näherte sie sich ihrer Tochter. Maries Gesicht war mit Speiseresten
bekleckert, ihr Haar zerzaust, und noch immer schien sie nichts von Verenas
Anwesenheit zu bemerken. Ohne ein Wort zu sagen kniete Verena vor ihrer Tochter
nieder und legte eine Hand um sie. Marie reagierte noch immer nicht, wehrte den
Körperkontakt aber auch nicht ab. „Ich kann nicht anders“, sagte sie
schließlich. „Mir passiert das immer wieder. Es ist wie ein Zwang.“
    „Ist schon gut, Kleines, ist schon gut.“
Verena drückte Marie mit beiden Armen fest an sich. „Wir beide werden wohl doch
Hilfe brauchen, was meinst du? Willst du mit mir gemeinsam eine Therapie
wagen?“ Marie antwortete nicht, doch Verena spürte, dass sie nichts dagegen
hatte.
    „Ich habe viele Fehler gemacht, das weiß ich.
Kannst du wenigstens versuchen, mir zu verzeihen“, bat Verena. „Ich hätte dich
trösten sollen, als dein Vater nicht mehr kam. Ich hätte dir erklären sollen,
was zwischen ihm und mir passiert ist und noch vieles mehr.“
    Via Handy, das in ihrer Hosentasche steckte,
sagte sie Alexander kurzerhand ab. Verena wusste später nicht mehr, wie lange
sie beide am Fußboden in der Küche gesessen hatten, aber die Anspannung ihrer
Tochter hatte immer mehr nachgelassen. Sie konnte endlich mit Verena darüber
reden, wie schlecht sie sich dabei gefühlt hatte, als die Eltern sich trennten
und welche Ängste sie mit einer neuen Partnerschaft der Mutter verband. Zurzeit
hatte sie am meisten Angst, den Klosterbrüdern in Irdning gegenübertreten zu
müssen und um Verzeihung für die Sprühaktion bitten zu müssen, aber das würde ihr
wohl nicht erspart bleiben.
    „Am besten, du gehst gleich morgen, dann hast
du es hinter dir. Oder möchtest du, dass ich dich begleite?“, fragte Verena.
Doch diesmal wollte Marie unbedingt allein durch. „Du kannst die unangenehmen
Dinge nicht immer für mich aus dem Weg räumen. Das habe ich mir selbst
eingebrockt, da muss ich auch ganz allein wieder raus. Trotzdem, danke.“
Unvermittelt drückte Marie ihrer Mutter einen Schmatz auf die Wange. „Ich
glaube, wir beide sollten uns langsam aufs Ohr hauen“, sagte sie und Verena
wusste, was gleich morgen auf dem Programm ihrer Tochter stand.

Es regnete wieder einmal in Graz, ein warmer,
aber sehr kräftiger Regen, und Julian, der keinen Regenschutz mithatte, war im
Nu durchweicht und ohnehin schlechter Laune. Genau genommen besaß er überhaupt
keinen Regenschirm, hätte auch gar keinen besitzen wollen, weil er Schirme
spießig fand, aber ein Mantel oder wenigstens eine Kapuze wäre wirklich nicht
schlecht gewesen. Mühsam schleppte er seinen schweren Koffer in den Vorraum und
fuchtelte gerade in seiner Hosentasche, um einen Schlüssel hervorzuholen, als
er im Inneren der Wohnung bereits das Telefon bimmeln hörte.
    „Wer kann denn das schon wieder sein? In der
Arbeit habe ich noch nicht mitgeteilt, dass ich schon wieder da bin.“ Mit
wenigen langen Schritten eilte er ans Telefon. „Julian Seidl, was kann ich für
Sie tun?“, leierte er, in

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