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Ehre sei dem Vater (German Edition)

Ehre sei dem Vater (German Edition)

Titel: Ehre sei dem Vater (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisa May
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Tagen. Nicht nur, weil jemand vergeblich
versucht hatte, ihr Werk mit weißer Farbe zu übermalen, sondern vor allem
deswegen, weil es ihr erneut bewusst machte, was ihr bevorstand. Mutter hatte
versprochen, dass sie allfällige Kosten für die Wiedergutmachung des Schadens
tragen würde. Sie selbst wollte vorschlagen, verschiedene wohltätige Dienste zu
übernehmen.
    Ihre Hände zitterten bei dem Gedanken an die unvermeidliche
Begegnung. Sie hatte sich auf Anraten ihrer Großmutter adrett gekleidet. Einen
Rock anzuziehen wäre zuviel des Guten gewesen. Der kurzärmlige,
blaue Rolli ihrer Mutter wirkte aber ziemlich brav und anständig, fand Marie.
Auch wenn er heute etwas komisch aussehen musste – das Thermometer hatte, als
sie zu Hause weggegangen war, sechsundzwanzig Grad angezeigt.
    Etwas anderes als Jeans besaß sie nicht und
daher war hier die Auswahl nicht allzu groß gewesen. Sie hatte die solideste ihrer
Hosen ausgesucht, ohne Löcher, ohne Nieten, jedoch in Schwarz. Ihre langen
Haare hatte sie ungewohnt streng nach hinten gebürstet und zu einem Zopf
gebunden. Am dämlichsten fand sie allerdings den Strauß mit gelben und weißen Rosen,
den Oma ihr in die Hand gedrückt hatte. Sie stammten augenscheinlich aus dem
eigenen Garten und waren mit einem gewöhnlichen Butterpapier umwickelt. Sie
hatte sogar kurz überlegt, den bunten Strauß irgendwo unterwegs verschwinden zu
lassen, aber nun war es dafür zu spät. Marie stand an der Klosterpforte. Die
schwere hölzerne Tür war vor nicht allzu langer Zeit abgeschliffen und neu eingebeizt worden. Marie konnte die frische Farbe riechen.
Sie blieb einen Moment stehen und sah sich um. Links neben der Eingangstüre war
eine kleine Glocke angebracht, die mit einem Seilzug zu bedienen war, doch sie
konnte sich nicht vorstellen, dass auf diese Art irgendjemand im Inneren der meterdicken,
jahrhundertealten Mauern ihr Läuten hören könnte. Gleich daneben war eine
moderne, elektronische Klingel mit Gegensprechanlage, wie sie an den meisten
Wohnhäusern angebracht war. Marie legte ihre Finger auf den Schalter und
zögerte erneut. Was sollte sie sagen? Nach wem sollte sie verlangen? Sollte sie
nur mit dem Vorsteher des Klosters sprechen, oder sich gar bei allen Brüdern
entschuldigen? Wie viele mochten das wohl sein? Zehn? Zwanzig? Sie zog die Hand
wieder zurück, drehte sich um und machte ein paar Schritte zurück. Ihre Blicke
schweiften vom Kircheneingang über die Mauer zu ihrer rechten Seite. Plötzlich
hielt sie inne. Hier war ein weiterer Eingang, ein mit schmalen Holzlatten
verschlagenes Tor, das einen Spalt breit offen stand. „Der Klostergarten! Das
ist meine Rettung!“, schoss es ihr durch den Kopf. „Wenn die Brüder sich hier
aufhalten, sind sie vielleicht milder gestimmt.“ Unwillkürlich hob sie ihren
Blick, als wollte sie ein Stoßgebet zum Himmel schicken, als sie sich durch das
leicht geöffnete Tor zwängte. Im Inneren der Klostermauern war niemand zu
sehen. Das Gras vor ihren Füßen war frisch gemäht, im Hintergrund hatte es noch
eine Höhe von cirka dreißig Zentimeter. Es sah so
aus, als hätte jemand mit der Arbeit begonnen und nicht mehr den Geist
aufgebracht, sie zu Ende zu bringen. „Sind wohl auch nicht ganz perfekt, die
Klosterbrüder“, stellte Marie erfreut fest. „Da stehen meine Chancen nicht ganz
so schlecht ….., hoffe ich zumindest.“ Die Rasenfläche war riesig. Im
Hintergrund stand eine winzig kleine Hütte, die im ersten Moment an das Puppenhaus
erinnerte, das bis vor drei Jahren noch in ihrem Zimmer stand. Plötzlich
bewegte sich etwas in ihrem Sichtfeld. „Liegt hier etwa jemand im Gras?“,
fragte sie sich, während sie die Gestalt, die sich in etwa fünfzig Metern
Entfernung langsam aufrichtete, nicht aus den Augen ließ. Es war ein Mann,
soviel stand fest. Sie hätte auch nichts anderes erwartet in einem Kloster,
aber dieser Mann hatte keine Kutte an. Unwillkürlich machte Marie ein paar
Schritte in seine Richtung. Sie beobachtete, wie er sich ungeschickt bewegte und
sichtlich Probleme hatte, richtig auf die Beine zu kommen. „Der arme Mann ist
entweder verletzt, oder er hat irgendeine Behinderung“, dachte sie und erkannte
in diesem Moment, wen sie vor sich hatte..……..

Viel zu spät hatte Franz bemerkt, dass er
beobachtet wurde. Als er das Mädchen mit dem Blumenstrauß entdeckt hatte, war
er blitzschnell in Richtung Hütte davon gehumpelt, ohne sich noch einmal
umzudrehen. Wer war sie wohl? Ob sie ihn erkannt

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