Ehre sei dem Vater (German Edition)
Anspielung auf die Hotlines der verschiedenen
Versandfirmen, herunter. Noch während er sprach, merkte er, wie unangebracht
diese scherzhafte Begrüßung war. Erstens hatte er nicht einmal im Entferntesten
gute Laune und zweitens war es gut möglich, dass die Person am anderen Ende ihn
nicht persönlich kannte und ihn für etwas verrückt hielt.
„Hallo, ich bin’s!“, ertönte es am anderen
Ende der Leitung.
„Gib es auf, ich werde nicht mehr
zurückkommen. Jedenfalls nicht mehr um ihn zu suchen“, sagte Julian, noch ehe Barbara einen weiteren Satz von sich geben
konnte.
„Mutter kommt heute nach Hause. Was schlägst
du vor, dass ich ihr sagen soll? Würde: ‚Julian hat unseren Vater aufgegeben,
komm lass uns eine Runde pokern!’ deiner Meinung nach gut ankommen?“
„Sag doch was du willst. Du weißt sonst auch
für alles eine Lösung“, sagte er schließlich betont gelassen, in der Hoffnung
nicht durchschaut zu werden. Barbara hatte sich wohl alle Mühe gegeben, ihn an
einer wunden Stelle zu treffen. Sie wusste, dass er für seine Mutter alles tun
würde.
„Ach Julian, spiel hier nicht den Harten.
Mutter hat sich so gefreut, dass du uns nicht im Stich gelassen hast, als Vater
plötzlich nicht mehr da war. Du weißt, wie viel es ihr bedeuten würde, euch
beide wieder versöhnt zu sehen.“
„Da kann sie aber warten bis zum Sankt-Nimmerleins-Tag.
Ich habe mit diesem Mann abgeschlossen. Ist dir ganz egal, was er gemacht hat?“
Julian ließ sich auf der Garderobe nieder. Seine Stimme war weinerlich
geworden.
„Du würdest ihm nicht einmal verzeihen, wenn
er bereits gar nicht mehr am Leben wäre? So schlimm ist dein Hass?“ Barbara
bohrte noch einmal in seinen Wunden.
„Er ist bestimmt nur irgendwo versteckt und
drückt sich wieder vor irgendeiner Wahrheit.“
Nachdem Barbara mit knappen Worten erzählt
hatte, dass die Gendarmen inzwischen einen Verdächtigen festgenommen hätten und
der Meinung waren, dass ihr Vater Opfer eines Gewaltverbrechens geworden wäre,
war es einige Momente vollkommen still in der Leitung.
Kleinlaut lenkte Julian ein: „Was könnte ich
denn noch ausrichten, wenn er sowieso nicht mehr zu retten wäre?“ Bei diesem
Gedanken krümmte sich sein Magen schmerzhaft zusammen. In diesem Moment
verstand er, dass er nicht aufgeben konnte. Er war trotz allem sein Vater und
er wollte nicht denselben Fehler machen, den genau dieser Mann seinem eigenen
Vater gegenüber gemacht hatte.
„Ich habe ohnehin noch nicht ausgepackt“,
waren die letzten Worte, bevor er auflegte.
Norbert Schwarz war aufgesprungen. „Das ist
nicht möglich!“, schrie er. „Und was ist mit den Beweisen?“ Er trat lautstark
gegen seinen alten Schreibtischsessel und handelte sich einen strengen Blick
seines Vorgesetzten ein.
„So reißen Sie sich doch zusammen, Mann. Sie
haben eine falsche Spur verfolgt. Es gibt, verdammt noch einmal, keine Beweise.
Wenn Sie das Verunstalten von Fotos als Verbrechen ansehen, ist das Ihr
Problem. Das Gesetz sieht das jedenfalls etwas anders.“
„Aber der Mann ist doch vollkommen durchgeknallt ! Wer weiß, wozu der Verrückte noch fähig
ist?“
„Verrückt hin oder her, er hat ein
wasserfestes Alibi.“
Inspektor Schwarz hatte schon vorher gewusst,
dass Karl Weber einen Tag vor Seidls Verschwinden ins Krankenhaus eingewiesen
worden war und erst zwei Tage später wieder entlassen wurde, aber was sagte das
schon aus? Er könnte einen Komplizen gehabt haben. Es gibt genügend Dinge, die
lassen sich nicht auf den ersten Anlauf erklären, aber hier gab es einige Indizien. Die Fotos von dem
Vermissten, die man in den Lokalzeitungen abgedruckt hatte, waren von dem Irren
noch am Computer bearbeitet worden. Es sah so aus, als würde Blut aus
unzähligen, klaffenden Wunden seines Oberkörpers laufen. Das Gesicht war
ebenfalls mit Rissen übersät. Das Ganze hatte er dann, fein säuberlich
ausgedruckt, mit Nadeln und mit abgerissenen Klingen eines Stanley-Messers an
die Wand gepinnt. Außerdem schien Franz Seidl ansonsten keine Feinde zu haben.
Gut, es gab ein paar Probleme innerhalb der Familie, aber das war schließlich
nichts Außergewöhnliches. Nichts, was eine Vermutung wie diese zulassen würde,
aber der Nachbar war mit Sicherheit nicht astrein, soviel stand fest. Der
Inspektor bückte sich, griff nach den Fotos auf seinem Schreibtisch und hielt
sie seinem Vorgesetzten unter die Nase.
„Welcher halbwegs normale Mensch hat solche
Phantasien?“, fragte er,
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