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Ehrenhüter

Ehrenhüter

Titel: Ehrenhüter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose Gerdts
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der Rauch Navideh nicht störte. «Ich warte nur auf meinen Kollegen. Er wird gerade genäht», antwortete Navideh.
    «Ach, Sie sind Polizistin», stellte die Schwester ruhig fest. In ihrer Stimme lag keine Frage. Ihre Gelassenheit musste sie sich während vieler Nachtschichten in einer Großstadt erworben haben. «Möchten Sie auch eine?» Die Frau lächelte sie freundlich an.
    «Danke, ich rauche nicht.»
    «Ich auch nur, wenn ich nachts arbeite. Irgendwie muss man ja diese Stunden rumbringen. Aber ich sag immer: Hauptsache, wir haben Arbeit, nicht wahr?»
    Navideh zog, einem spontanen Impuls folgend, doch eine Zigarette aus dem Päckchen, das die Schwester ihr hinhielt, und steckte sie sich in den Mund. Es war Jahre her, dass sie zuletzt geraucht hatte, aber heute Nacht musste es sein.
    «Sie sind nicht aus Bremen?», fragte Navideh, um das Schweigen zu beenden.
    «Nein. Ich komme aus Sachsen. Bin gleich nach der Wende rüber.» Sie inhalierte tief und lächelte Navideh schief an. «Anders als ich sprechen Sie zwar ohne Akzent, aber wie die typische Bremerin sehen Sie auch nicht gerade aus.»
    «Ich stamme aus dem Iran», erwiderte Navideh.
    «Ach, wo die schönen Männer herkommen!», meinte die Frau schwärmerisch.
     
    Sie waren bei ihrer zweiten Zigarette angelangt, da kannte Navideh schon die wichtigsten Lebensstationen von Tatjana. Die Krankenschwester war nicht gerade vom Schicksal verwöhnt, aber sie hatte sich eine positive Lebenseinstellung bewahrt. «Tag für Tag sehe ich hier Leute, denen geht’s schlechter als unsereins», sagte sie. «Wir können doch froh sein, dass wir gesund sind, nicht wahr?» Ohne eine Antwort abzuwarten, drückte sie ihre dritte, halb aufgerauchte Zigarette in einen mit Sand gefüllten Blumenkübel und zwinkerte Navideh zu.
    «Tschüs. Passen Sie auf sich auf!»
    Im Eingang kam ihr Steenhoff entgegen. Tatjana sah die genähte Wunde über seiner Augenbraue und schaltete sofort. «Ihre Kollegin wartet schon vor der Tür.» Dann verschwand sie im Fahrstuhl.
    Verwundert schaute Steenhoff der unbekannten Frau hinterher. Noch erstaunter war er, als er Petersen mit einer Zigarette in der Hand sah. «Seit wann rauchst du?»
    «Seit heute Nacht.» Sie drückte ihre Zigarette aus. «Aber ab sofort bin ich wieder Nichtraucherin.»
    «Kanntest du die Frau?»
    «Tatjana, die Krankenschwester aus Sachsen? – Nein.»
    Steenhoff schüttelte den Kopf, fragte aber nicht weiter nach. Er atmete tief ein und ging auf den Taxistand zu. Müde folgte ihm Navideh.
     
    Im Präsidium verweigerte Osman die Aussage. Ohne einen Anwalt wollte er nicht mit der Polizei sprechen. Insgeheim war Navideh erleichtert. Sie sehnte sich nach ihrem Bett und konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Im Gegensatz zu ihr wirkte Steenhoff noch fit. Sie kannte ihn lange genug, um zu wissen, dass er, wenn es sein musste, über eine große Selbstbeherrschung verfügte. Er bat einen Kollegen vom Kriminaldauerdienst, morgens bei Wessel anzurufen und ihn zu informieren, dass sie sich eine Stunde später als geplant treffen wollten. Navideh hätte sich am liebsten erst gegen Mittag verabredet, aber sie war zu müde, um zu protestieren.
    Es war schon früher Morgen, als sie endlich nach Hause fuhr.
     
    Widerstrebend ließ Steenhoff Osman wieder laufen. Für einen Haftbefehl reichte es nicht. Auch wenn die Durchsuchung zwei kleine Päckchen Marihuana zutage gefördert hatte. Unter heftigem Protest ließ Osman eine Blutprobe über sich ergehen. Steenhoff war überzeugt, dass der Junge unter Drogen stand, als er ihm vors Auto lief. Vielleichthatte er auch noch etwas anderes als Marihuana genommen. Osman selbst äußerte sich nicht dazu und beantwortete alle Fragen nur mit einem gleichgültigen Schulterzucken.
    Nach der Blutprobe veranlasste Steenhoff, dass zwei seiner Kollegen vom Dauerdienst den Jungen nach Hause brachten. Sie sollten sein Zimmer durchsuchen.
    «Nach was sollen wir konkret suchen?», fragte der ältere der beiden Beamten gespannt.
    «Offiziell nach Drogen und Waffen. Aber schaut euch einfach um. Uns interessiert, was der Junge in seiner Freizeit treibt. Ob er religiöse oder islamistische Literatur rumliegen hat, ob er Kampfsport betreibt oder eine Freundin hat. Wir müssen alles über Osman wissen. Ein Zimmer verrät oft mehr über einen Menschen als eine Aussage.»
    Steenhoff hatte kurz darüber nachgedacht, selbst an der Durchsuchung teilzunehmen. Aber er musste schlafen, und wenn es nur ein paar Stunden

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