Ehrensache
Erkennungsdienst waren immer noch damit beschäftigt, Fotos zu schießen und
Videoaufnahmen zu machen. Alle dreißig Sekunden oder so wischten sie über ihre Kameralinsen, denn
es regnete inzwischen heftig, und der Himmel hatte eine durchgehend grauschwarze Färbung. Eine
Autopsie wäre notwendig, stimmte der Staatsanwalt zu. Die Leiche würde in die Leichenhalle in der
Cowgate in Edinburgh gebracht werden. Dort würde auch die formelle Identifikation stattfinden,
bei der zwei Personen zugegen sein mussten, die die Verstorbene zu Lebzeiten gekannt hatten, und
zwei Polizeibeamte, die sie als Tote gesehen hatten. Wenn sich dabei herausstellen sollte, dass
das nicht Elizabeth Jack war, dann würde Rebus ganz schön in der Tinte sitzen. Während er
beobachtete, wie die Leiche abtransportiert wurde, gestattete Rebus sich ein unterdrücktes
Niesen. Vielleicht hatte Dr. Curt ja Recht mit seiner Diagnose Lungenentzündung. Jedenfalls
wusste er genau, wo er jetzt hinwollte: zum Haus der Kinnouls.
Mit etwas Glück würde er dort einen heißen Tee bekommen. Das Spurensicherungsteam quetschte sich
- durch und durch nass - ins Auto und fuhr zurück zum Polizeipräsidium in der Fettes
Avenue.
»Kommen Sie, Brian«, sagte Rebus. »Wir wollen doch mal sehen, wie es Mrs. Kinnoul geht.«
Cath Kinnoul schien sich in einem Schockzustand zu befinden. Ein Arzt war bei ihr gewesen, der
jedoch schon wieder fort war, als Rebus und Holmes auftauchten. Sie zogen ihre triefnassen Jacken
im Flur aus. Dabei wechselte Rebus leise ein paar Worte mit einer Polizistin.
»Noch nichts vom Ehemann gehört?«
»Nein, Sir.«
»Wie geht es ihr?«
»Angenehm benommen.«
Rebus versuchte, durchgefroren und völlig fertig auszusehen, was ihm nicht sonderlich schwer
fiel. Die Polizistin las seine Gedanken und lächelte.
»Soll ich einen Tee kochen?«
»Irgendwas Heißes wäre jetzt goldrichtig.« Cath Kinnoul saß in einem riesigen Sessel im
Wohnzimmer. Der Sessel schien sie beinah zu verschlingen. Sie wirkte nur noch ungefähr halb so
groß und ein Viertel so alt wie bei ihrer ersten Begegnung mit Rebus.
»Hallo, da bin ich wieder«, sagte Rebus bemüht fröhlich.
»Inspector... Rebus?«
»Genau. Und das ist Sergeant Holmes. Keine Scherze, bitte, die hat er alle schon mal gehört,
nicht wahr, Sergeant?«
Holmes wusste, dass Rebus versuchte, das Comedy-Duo zu spielen, um vielleicht wieder ein bisschen
Leben in Mrs Kinnoul zu bringen. Er nickte aufmunternd. Dabei blickte er sich wehmütig um, in der
Hoffnung, ein prasselndes Holz- oder Kohlefeuer zu entdecken. Doch es gab noch nicht mal ein
loderndes Gasfeuer, vor das er sich hätte stellen können. Stattdessen gab es eine einzelne
elektrische Heizstange, die ein wenig Wärme abstrahlte, sowie zwei Radiatoren. Vor einen von
diesen stellte er sich, löste die nasse Hose von seinen Beinen und tat dabei so, als würde er die
Bilder vor ihm an der Wand bewundern. Rab Kinnoul mit einem Fernsehschauspieler... mit einem
Fernsehkomiker... mit dem Leiter einer Gameshow...
»Mein Mann«, erklärte Mrs. Kinnoul. »Er arbeitet beim Fernsehen.«
»Und Sie haben keine Ahnung, was er heute vorhat, Mrs Kinnoul?«, fragte Rebus.
»Nein«, erwiderte sie leise, »keine Ahnung.«
Zwei Zeugen, die die Verstorbene zu Lebzeiten gekannt hatten... Cath Kinnoul konnte man dafür
wohl vergessen, dachte Rebus. Sie würde zusammenbrechen, wenn sie wusste, dass Liz Jack da
draußen lag, ganz zu schweigen davon, wenn sie die Leiche identifizieren müsste. Genau in diesem
Moment versuchte bereits irgendjemand, Gregor Jack zu erreichen, und Jack würde vermutlich in
Begleitung von Ian Urquhart oder Helen Greig zur Leichenhalle kommen; von beiden würde ein
zweites Kopfnicken als Bestätigung reichen. Nicht nötig, Cath Kinnoul damit zu belasten.
»Sie sehen ja völlig durchnässt aus«, sagte sie. »Möchten Sie was trinken?«
»Die Kollegin kocht gerade Tee...« Doch noch während er sprach, wusste Rebus, dass sie das nicht
gemeint hatte.
»Ein Schlückchen Whisky wär allerdings auch nicht schlecht, wenn es nicht zu viel Mühe
macht.«
Sie deutete mit dem Kopf auf ein Sideboard. »Rechte Tür«, sagte sie. »Bitte bedienen Sie
sich.«
Rebus überlegte, ob er sie auffordern sollte, ein Glas mitzutrinken. Aber wer weiß, was der Arzt
ihr gegeben hatte? Und welche Tabletten sie von sich aus genommen hatte? Er schenkte etwas
Glenmorangie in zwei lange, schlanke Gläser und reichte eines davon Holmes, der eine
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