Ehrensache
wenn er zurückstupst, Sir?« Watson sah aus wie ein gutmütiger Onkel, der plötzlich
die Nase voll von seinem vorlauten Neffen hat.
»Dann stupsen Sie ihn fester. Ich weiß, dass er viel zu tun hat. Ich weiß, dass er Vorträge
halten muss, Veranstaltungen an der Uni und weiß Gott was noch. Aber je länger wir warten müssen,
umso mehr werden die Medien die Lücken mit Spekulationen füllen. Reden Sie doch mal mit ihm,
John, ja?, damit er versteht, was auf dem Spiel steht.«
Auf dem Spiel steht? Was soll der Quatsch? Dr. Curt erklärte, was er ihm schon immer gesagt
hatte. Ich kann mich nicht hetzen lassen... delikate Angelegenheit, Ertrinken vom bloßen
Untergehen zu unterscheiden...
berufliches Ansehen... kann mir nicht leisten, Fehler zu machen... Eile mit Weile... Geduld ist
eine Tugend...
mit kleinen Schritten kommt man auch zum Ziel...
All das bekam Rebus an den Kopf geschmissen, als er den Arzt zwischen zwei Terminen in seinem
Büro am Teviot Place erwischte. Die Rechtsmedizinische Abteilung des Pathologischen Instituts,
die sowohl zur Medizinischen als auch zur Juristischen Fakultät gehörte, hatte ihre Räume in der
Medizinischen Fakultät am Teviot Place. Was Rebus ganz einleuchtend erschien. Schließlich wollte
man doch nicht, dass Leute, die Handelsrecht studierten, mit Studenten zusammenkamen, die an
Leichen herumschnippelten...
»Diatomeen...«, sagte Dr. Curt gerade.
»Waschfrauenhaut... mit Blut durchsetzter Schaum... aufgeblähte Lungen...« Es klang fast wie eine
Litanei, und nichts davon half ihnen weiter. Gewebetests...
Untersuchung... Diatomeen... Toxikologie... Frakturen ... Diatomeen. Curt hatte wirklich einen
Narren an diesen winzigen Algen gefressen.
»Einzellige Algen«, korrigierte er.
Rebus registrierte die Korrektur mit einem Nicken. »Na schön«, sagte er und stand auf, »so
schnell Sie können, ja, Dr. Curt? Wenn Sie mich im Büro nicht erreichen, können sie mich
jederzeit über mein einzelliges Telefon anrufen.«
»So schnell ich kann«, stimmte Dr. Curt kichernd zu.
Dann stand er ebenfalls auf. »Ach ja, eine Sache kann ich Ihnen sofort sagen.« Er öffnete Rebus
die Bürotür.
»Ja?«
»Mrs. Jack hatte keine Körperbehaarung. Man konnte sie also nicht an den Löckchen
ziehen...«
Da Teviot Place nicht weit von der Buccleuch Street entfernt war, beschloss Rebus, bei Suey Books
vorbeizugehen. Nicht dass er erwartete, Ronald Steele anzutreffen, denn Ronald Steele war ja
notorisch schwer zu erwischen. Geschäftig hinter den Kulissen, geschäftig im Verborgenen. Der
Laden war jedoch offen, das wackelige Fahrrad draußen angekettet. Rebus schob vorsichtig die Tür
auf.
»Sie können ruhig reinkommen«, rief eine Stimme von hinten aus dem Laden. »Rasputin ist auf
Streifzug.«
Rebus schloss die Tür und ging auf den Schreibtisch zu.
Das Mädchen saß genau wie beim letzten Mal dort, und ihre Aufgabe schien immer noch im
Auszeichnen von Büchern zu bestehen. Auf den Regalen war allerdings überhaupt kein Platz mehr für
weitere Bücher. Rebus fragte sich, wo diese neuen Titel hin sollten...
»Woher wussten Sie, dass ich das war?«, fragte er.
»Das Fenster.« Sie deutete mit dem Kopf auf das Schaufenster. »Von außen mag es zwar schmutzig
aussehen, aber von innen kann man ganz gut rausschauen. Wie bei so einem Spionspiegel.«
Rebus schaute hinüber. Ja, weil es drinnen im Laden dunkler war als auf der Straße, konnte man
ganz gut nach draußen sehen, man konnte allerdings nicht reinschauen.
»Keine Spur von Ihren Büchern, falls Sie das wissen wollten.«
Rebus nickte bedächtig. Das war nicht, was er wissen wollte...
»Und Ronald ist auch nicht da.« Sie sah auf das überdimensionale Zifferblatt ihrer Armbanduhr.
»Wollte schon vor einer halben Stunde hier sein. Ist sicher irgendwo aufgehalten worden.«
Rebus nickte immer weiter. Steele hatte den Namen von diesem Mädchen erwähnt. Wie war er noch
gleich...?
»War er gestern hier?«
Sie schüttelte den Kopf. »Gestern hatten wir geschlossen. Den ganzen Tag. Mir ging's nicht so
gut, deshalb konnte ich nicht kommen. Zu Beginn des Studienjahrs haben wir mittwochs immer recht
viel zu tun, da mittwochs nur den halben Tag unterrichtet wird, aber im Augenblick ist nicht so
besonders...«
Rebus dachte an Vaseline... Vanille... Vanessa! Das war's.
»Na ja, trotzdem danke. Und behalten Sie die Bücher im Auge...«
»Oh! Da ist Ronald ja.«
Rebus drehte sich um, als die Tür klappernd aufging.
Ronald Steele
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