Ehrensache
merkwürdige
Position vor der Heizung eingenommen hatte.
»Passen Sie auf, dass Sie nicht anfangen zu dampfen«, sagte Rebus leise. Genau in diesem
Augenblick kam die Polizistin mit dem Teetablett herein. Sie sah den Alkohol und hätte beinahe
missbilligend die Stirn gerunzelt.
»Auf uns«, sagte Rebus und kippte den Whisky in einem Schluck.
In der Leichenhalle schien Gregor Jack Rebus kaum zu erkennen. Jack hätte gerade seine
wöchentliche Sprechstunde für die Bewohner seines Wahlkreises abgehalten, erklärte Ian Urquhart
Rebus in einem verschwörerischen Flüstern. Die fand normalerweise freitags statt, doch an diesem
Freitag wurde im House of Commons die Gesetzesinitiative eines Abgeordneten vorgelegt, und Gregor
Jack wollte an der Debatte teilnehmen. Und da Gregor sowieso in der Gegend zu tun hatte, hatten
sie beschlossen, die Sprechstunde bereits am Donnerstag abzuhalten, damit er über den Freitag
frei verfügen konnte.
Während sich Rebus das alles schweigend anhörte, dachte er: Warum erzählst du mir das alles? Aber
Urquhart war offensichtlich nervös und hatte das Bedürfnis, zu reden.
Leichenschauhäuser hatten auf manche Leute diese Wirkung, und wenn man dann noch bedachte, dass
sein Arbeitgeber gerade erleben musste, wie ein Skandal den anderen jagte. Gar nicht davon zu
reden, dass das den eigenen Job noch schwieriger machte als sonst.
»Wie ist die Golfpartie gelaufen?«, fragte Rebus zurück.
»Welche Golfpartie?«
»Gestern.«
»Oh.« Urquhart nickte. »Sie meinen die von Gregor. Das weiß ich nicht. Ich hab ihn noch nicht
danach gefragt.«
Also war Urquhart nicht mit von der Partie gewesen. Er schwieg so lange, dass Rebus schon
glaubte, es käme nichts mehr, doch das Bedürfnis zu sprechen war zu groß.
»Das ist ein regelmäßiger Termin«, fuhr Urquhart fort.
»Gregor und Ronnie Steele. Meistens mittwochnachmittags.«
Ah, Suey, Mr. Teenager-Möchtegernselbstmörder...
Rebus versuchte, die nächste Frage wie einen Scherz klingen zu lassen. »Arbeitet Gregor denn überhaupt jemals?«
Urquhart sah ihn fassungslos an. »Er arbeitet ständig. Diese Golfpartie... das ist ungefähr die
einzige freie Zeit, die er meines Wissens hat.«
»Aber er scheint nicht allzu oft in London zu sein.«
»Der Wahlkreis geht vor, so ist Gregor nun mal.«
»Kümmer dich um die Leute, die dich gewählt haben, und dann werden die sich auch um dich
kümmern?«
»So in der Art«, räumte Urquhart ein. Es war keine Zeit mehr zum Reden. Die Identifizierung würde
jeden Augenblick beginnen. Und wenn Gregor Jack schon schlecht ausgesehen hatte, bevor er die
Leiche sah, so sah er hinterher wie der leibhaftige Tod aus.
»O Gott, dieses Kleid...« Er schien kurz vorm Zusammenbruch, aber Ian Urquhart hielt ihn gut
fest.
»Wenn Sie sich bitte das Gesicht ansehen würden«, sagte irgendjemand gerade. »Wir müssen ganz
sicher sein...«
Alle sahen auf das Gesicht. Ja, dachte Rebus, das ist die Frau, die ich an dem Fluss gesehen
habe.
»Ja«, sagte Gregor Jack mit zitternder Stimme, »das ist meine... das ist Liz.«
Rebus atmete tatsächlich erleichtert auf.
Mit wem niemand gerechnet hatte, wen niemand überhaupt in Betracht gezogen hatte, war Sir Hugh
Ferrie.
»Sagen wir mal so«, erklärte Chief Superintendent Watson, »es wird ein gewisser... Druck
ausgeübt.«
Wie immer konnte Rebus nicht die Klappe halten. »Es gibt nichts, weswegen man Druck
ausüben könnte. Was sollten wir denn tun, was wir nicht bereits getan haben?«
»Sir Hugh ist der Meinung, dass wir William Glass längst gefasst haben sollten.«
»Aber wir wissen doch noch nicht mal...«
»Na ja, wir wissen doch, dass Sir Hugh ein bisschen hitzköpfig sein kann. Aber er hat in gewisser
Hinsicht Recht...« Was nichts anderes hieß, dachte Rebus, als dass er Freunde in hohen Positionen
hatte.
»Er hat in gewisser Hinsicht Recht, und wir können den Medienrummel, der zweifellos losgehen
wird, nicht gebrauchen. Ich sage nichts weiter, als dass wir diese Ermittlung noch etwas stärker vorantreiben sollten, wann auch immer und wo auch immer wir können. Sehen wir also
zu, dass wir Glass in Haft kriegen, dass alle auf dem Laufenden gehalten werden und dass wir
diesen Autopsiebericht so schnell wie menschenmöglich bekommen.«
»Nicht so einfach bei einer Wasserleiche.«
»John, Sie kennen doch Dr. Curt ganz gut, nicht wahr?«
»Wir reden uns mit dem Nachnamen an.«
»Könnten Sie ihm nicht einen zusätzlichen kleinen Stups geben?«
»Und was ist,
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