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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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zu sich genommen«, verbesserte sie ihn. Im Laufe ihres Berufslebens hatte sie gelernt, mit ihren alten Schützlingen nur behutsam und respektvoll über das Sterben zu reden, falls überhaupt.
    »Eine Walküre ist in Walhall am besten aufgehoben«, sagte der Alte. »Bringt mich wieder in mein Bett!«
    Anscheinend hatte er sich nichts gebrochen, sondern war mehr oder weniger auf dem Teppichboden zusammengesackt. Was er aber im Schlafzimmer seines Sohnes gesucht hatte, wollte oder konnte er nicht sagen.
    Später meinte Jenny: »Er hat natürlich recht, er braucht einen gemütlichen Sessel, auf keinen Fall zu niedrig, damit er auch wieder hochkommt. Er sollte vormittags und nachmittags eine Runde mit uns durch den Flur wandern und danach eine Weile außerhalb des Bettes sitzen.«
    »Ich schaffe den Ohrensessel her«, versprach Max. »Weiß allerdings nicht, ob der ins Auto passt.«
    »Ist dein Opa eigentlich reich?«, fragte Jenny. »Kein Millionär, wenn du so was meinst. Aber er hat ein eigenes Häuschen, eine gute Rente und sicher einiges auf der hohen Kante, denn er hat sparsam gelebt. - Gehen wir mal wieder ins Kino?«
    Jenny wollte vorher eine Pizza essen, sie hatte meistens Hunger, wenn ihr anstrengender Dienst zu Ende war. Max war es recht. Seit sein Vater im Krankenhaus lag, hatte seine Mutter nicht mehr gekocht, sondern war abends einfach abgetaucht. Wie beim ersten Mal sollte er Jenny abholen.

    Petra kam reichlich spät von ihrem Freund zurück. Natürlich musste sie diesen Abend ausnützen. Am nächsten Tag würde Harald schon entlassen. Max war anscheinend zu Hause, denn sein Wagen stand vor der Tür. Wahrscheinlich schlief er längst.
    Als sie hungrig den Kühlschrank öffnete, fehlte dort die Flasche Sekt, die sie für ihren Liebhaber vorgesehen und mitzunehmen vergessen hatte. Ob Max sie geklaut hatte, ob er vielleicht sogar Besuch hatte? Auf Zehenspitzen ging sie die Treppe ins Souterrain hinunter und spähte durchs Schlüsselloch. Man konnte nur erkennen, dass Licht brannte. Drinnen wurde leise gesprochen, oder war es bloß der Fernseher? Petra lauschte angestrengt. Eine Frauenstimme sagte: »Max, du bist einfach süß!«
    Na, das wurde auch Zeit! Ihr Sohn wurde endlich erwachsen! Beschwingt schlich Petra wieder nach oben und freute sich. Irgendwie kam ihr diese helle Stimme bekannt vor, und sie fragte sich, wer dieses Mädchen sein könnte. Ein leiser Duft nach Lavendel und Kernseife hing in der Luft. Eines musste man den Pflegerinnen ja lassen, dieser Verwesungsgeruch, der im früheren Heim des Alten vorherrschte, war besiegt. Der Kranke wurde gewaschen, gebadet, gewindelt, gekämmt, bekam die Nägel geschnitten und wurde dauernd frisch angezogen. Vielleicht etwas zu häufig, fand Petra, denn die Waschmaschine lief jeden zweiten Tag.

    Harald wurde für den Rest der Woche krankgeschrieben und sollte sich noch ein wenig zu Hause erholen. Als er von einem Rotkreuzwagen abgesetzt wurde, war er über alle Maßen erleichtert. Das war noch mal gutgegangen, alle hatten ihm die Geschichte mit der versehentlich überhöhten Dosis abgenommen. Ein wenig angeschlagen war er immer noch, lehnte aber trotzdem die Hilfe des Fahrers ab und stieg allein die Treppe hinauf ins Schlafzimmer. Petra hatte offensichtlich die Betten frisch bezogen, das Fenster stand auf, die Frühlingssonne schien hinein. Alle Medikamente waren aus seiner Nachttischschublade entfernt worden. Aus dem Krankenzimmer nebenan tönte schallendes Gelächter. Der Alte und eine Frau schienen sich prächtig zu amüsieren. Mühsam raffte er sich auf und ging ins Nachbarzimmer hinüber. Das Lachen verstummte.
    »Hallo«, sagten Willy und die Unbekannte.
    »Wie heißen Sie?«, fragte Harald.
    »Ich bin Elena. Ersatz für tote Kollegin.«
    Bei diesem Wort ahnte Harald nichts Gutes, und schon trompetete sein Vater: »Halali! Die Grimmhild weilt in den ewigen Jagdgründen! Aber gut. De mortuis nil nisi bene - über die Toten soll man nichts Schlechtes sagen!«
    »Was ist mit dir, Papa?«, fragte Max, der soeben dazugekommen war, aber still und nachdenklich wirkte. »Du siehst kreidebleich aus. Kann ich etwas für dich tun?«
    Harald schüttelte den Kopf und behauptete, er müsse sich erst einmal hinlegen. Als er allein war, kamen ihm die Tränen. Er war zum Mörder an einer Krankenschwester geworden, die jünger war als er selbst. Und daran war einzig und allein sein Vater schuld, der ihm mal wieder sein Leben vermasselte.

    Auch Max war eher zum Heulen

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