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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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jetzt nicht sehen und solle am Nachmittag wiederkommen.
    Ein gescheiterter Selbstmord? Petra war mit den Nerven am Ende. Es stimmte, sie hatte sich in letzter Zeit reichlich wenig um ihren Mann gekümmert, weil sie ganz andere Dinge im Kopf hatte. Er wiederum hatte Ärger im Beruf, Sorgen wegen der Kinder und jetzt auch noch die Verantwortung für den Alten. Wahrscheinlich war er mit der Fülle der Probleme nicht fertig geworden.
    Andererseits würde ein erwachsener Mann, der sich das Leben nehmen wollte, doch nicht das Ehebett für diesen Zweck verwenden. Er würde bestimmt ein Versteck suchen, wo er am nächsten Morgen nicht von seiner Frau geweckt wurde.
    Nein, es war ein Denkzettel, den er ihr verpassen wollte, und Petra wusste leider auch, warum. Zwischen zwölf und halb zwei blieb ihr Laden geschlossen, die Mitarbeiterinnen gingen essen, und Petra konnte sich in ihrem kleinen Büro auf dem Sofa ausstrecken. Seit ein paar Monaten empfing sie dort regelmäßig einen Lover.
    Die Sache hatte sich über längere Zeit entwickelt. Ein ehemaliger Deutschlehrer von Mizzi, mit dem sie sich seit langem gut verstand, war Stammkunde und bestellte bei ihr immer die Schullektüre für seine Klassen. Nach seiner Scheidung begann er sich intensiver für Petra zu interessieren, hofierte sie ein wenig und betrat ihr Geschäft häufiger als zuvor. Irgendwann kam er direkt vor ihrer Pause, und sie bemerkten bei ihrem intensiven Gespräch beide nicht, wie lange sie sich ungestört und angeregt unterhalten hatten. Nach und nach wurden die mittäglichen Besuche zur festen Gewohnheit, und das schmale Sofa musste oft für zwei Personen herhalten.
    Hatte ihr Mann davon Wind bekommen? Eine Mitarbeiterin hatte durch einen Zufall mitgekriegt, dass ihre Chefin in der Mittagszeit selten allein blieb. Es konnte immerhin sein, dass sie Harald gegenüber eine Andeutung gemacht hatte. Petra war verzweifelt. Sie hatte dieser Affäre keinen allzu hohen Stellenwert beigemessen und nie vorgehabt, ihren Mann zu verlassen. Wenn sich Harald aber aus Verzweiflung wegen ihr etwas angetan hätte? Doch immerhin bestand auch die Möglichkeit, dass er sich einfach in der Dosierung vertan hatte.

    Am nächsten Tag war ihr Mann wieder ansprechbar, jedoch verlangsamt und dösig. Petra sprach erneut mit den Ärzten und deutete an, dass Harald wohl versehentlich zu viel Schlafmittel eingenommen hatte.
    »Ein weitgehend robuster Mann wie der Ihre wäre daran kaum gestorben«, sagte der Arzt. »Anders sähe es bei einem alten und chronisch kranken Menschen aus. Trotzdem sollten wir diese Sache nicht auf die leichte Schulter nehmen - wenn er wieder klar im Kopf ist, werden wir einen Psychiater einschalten.«

    Endlich war ein Brief der Krankenkasse eingetroffen. Dem Alten wurde nur die zweithöchste Pflegestufe zugebilligt, so dass ein Teil der Kosten an der Familie hängenblieb. Petra rechnete aus, dass man ungefähr 400 Euro im Monat für den Pflegedienst bezahlen musste. Bis jetzt hatte Willy Knobel noch keinen Cent für Kost und Unterkunft herausgerückt, auch sein Haus war nicht vermietet worden. Es war Petra peinlich, ihren Schwiegervater darauf anzusprechen, und ihren Mann mochte sie mit schlechten Nachrichten momentan lieber nicht belasten. Wie sollte das alles nur weitergehen?
    Doch was hatten die Ärzte gesagt? Einen gesunden Mann hätte das Schlafmittel wohl nicht umgebracht, aber einen alten, kranken vielleicht schon! Petra kaute an einer neuen Idee herum. Wenn ihr Schwiegervater einen ähnlich hochkonzentrierten Schlummertrunk bekäme, wären wohl viele Probleme auf der Stelle gelöst. Doch zum einen war Haralds Vorrat fast zu Ende, und es war die Frage, ob ihm Dr. Ofenbach jetzt neue Tropfen aufschreiben würde. Außerdem würde es auffallen, wenn ein weiteres Mitglied der Familie mit Blaulicht ins Krankenhaus gebracht würde. Sie verwarf diesen Gedanken und grübelte weiter.

    Jenny legte ihre Jacke meistens im Flur auf der Truhe ab. Vor kurzem hatte Max ihre Brieftasche herausgenommen und einen heimlichen Blick auf den Personalausweis geworfen: Sie war sieben Jahre älter als er. Inzwischen wusste er, dass sie allein lebte und keine guten Erfahrungen mit ihren bisherigen Freunden gemacht hatte. Die stets heitere Miene war wohl bisweilen aufgesetzt. An diesem Abend war allerdings von Fröhlichkeit sowieso keine Rede. Jennys Handy klingelte, als sie gerade die Haustür aufgeschlossen hatte.
    »Kriemhild ist tot«, sagte sie und fiel Max

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