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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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fragen. Petra schaute auch beim Schwiegervater hinein, der gut aufgelegt über das schlechte Fernsehprogramm schimpfte.
    »Da sagen die schon wieder Zumindestens«, sagte er. »Dabei gibt es nur mindestens oder zumindest. Unsere Sprache verroht!«
    »Und wie geht's dir abgesehen von diesem Ärger?«, fragte Petra.
    »Ohne deinen Max läge ich schon längst unterm Rasen, und ich glaube fast, ich lerne wieder laufen und kann irgendwann die Treppe hinunterkommen und gemeinsam mit euch essen.«
    Alles, nur das nicht!, dachte Petra. Es reichte ihr schon, jeden Abend für Mann und Sohn zu kochen, denen selten genug ein lobendes Wort über die Lippen kam. Dieser Nörgler würde die Stimmung vollends verderben. Außerdem klappte es ja ganz gut, wenn Max dem Alten mittags ein Fertiggericht und abends eine Schnitte hinaufbrachte.

    Diesmal hatte sie sich Mühe beim Kochen gegeben. Es gab Szegediner Gulasch, das ihr Mann besonders liebte. Aber anstatt dankbar zu sein, verlangte er nach mehr Paprika, während Max die Kartoffeln verschmähte und sich ein Stück Brot aus der Küche holte.
    »Hoffentlich bleibt genug für Opa übrig«, sagte er. »Das Gulasch könnte ich morgen gut aufwärmen. Dazu mache ich dann Kartoffelbrei.«
    Vater und Mutter sahen ihn sprachlos an. Schließlich sagte Petra: »Und warum kochst du nicht mal für deine Eltern?«
    Dazu fiel Max keine Antwort ein.

    Am nächsten Tag lag eine Einkaufsliste in der Küche. Wenn Du sowieso täglich in den Supermarkt fährst, schrieb Petra, dann kannst Du Deiner Mutter diese Arbeit durchaus mal abnehmen! Daneben hatte sie 50 Euro gelegt, die wahrscheinlich gerade so ausreichten. Ganz unten stand: Selterswasser ist auch nicht mehr da.

    Harald war es nicht gewohnt, morgens auszuschlafen. Aber er fühlte sich immer noch grenzenlos schlapp und blieb so lange im Bett, bis das grauenhafte Gelächter nebenan verstummt war, die unsäglich laute Pflegerin das Haus verlassen hatte und auch Max zum Einkaufen unterwegs war.
    Sein kluger Plan war zweimal schiefgegangen. Vielleicht sollte man den Alten, der ja gelegentlich desorientiert war, einfach entmündigen und dann in ein Heim einweisen lassen. Wenn er vorher sein Testament tatsächlich noch änderte, konnte es als Produkt eines Unzurechnungsfähigen gerichtlich angefochten werden. Also beschloss Harald, seinen Vater wieder einmal unter die Lupe zu nehmen.
    »Salve«, sagte der Alte. »Hoher Besuch am Vormittag? Was treibt dich zu mir, und wo bleibt der Cognac?«
    »Wollte nur mal sehen, wie's dir geht«, sagte Harald. »Alkohol trinkt man erst nach Sonnenuntergang!« - aber du kriegst überhaupt keinen mehr, fügte er in Gedanken an.
    »Schade, denn es gibt etwas zu feiern: Ich habe Großes im Sinn«, sagte der Alte, »sozusagen das Nonplusultra! Ich werde heiraten!«
    Er ist tatsächlich nicht mehr bei Trost, dachte Harald und lächelte milde, erfreut über den Beweis.
    »Gegen wen?«, fragte er.
    »Nun, wer ist die Schönste im ganzen Land?«
    »Schneewittchen«, antwortete Harald belustigt.
    »Nein, Helena, Tochter des Zeus.«
    Harald seufzte erleichtert. Sein Vater hatte endgültig den Verstand verloren, und Plan B kam zügig ins Rollen.
    Tatsächlich war der Alte kaum noch zu bremsen: »Die Zeiten des Trübsinns sind vorbei - Tempi passati! Jeden Morgen erscheint die schöne Helena und bringt mich zum Lachen, außer Max hat das seit Jahren kein Mensch mehr geschafft. Das muss belohnt werden! Sieh mal, wenn ich irgendwann unterm Rasen liege, bekäme sie noch jahrelang meine Rente.«
    »Du meinst doch nicht etwa diese schnauzbärtige Pflegerin? Ich dachte immer, du magst keine Ausländer!«
    »Die klassische Antike, besonders Italien, war schon von früher Jugend an das Land meiner Sehnsucht. Die schöne Helena ist für mich die Botin einer heiteren Götterfamilie.«
    Anscheinend war es durchaus kein reines Hirngespinst, sondern eine ganz konkrete Vorstellung, die seinem verkalkten Vater vorschwebte.
    »Aber Vater, unsere feinsinnige Mutter war dir nicht gebildet genug, jetzt entdeckst du in einem Bauerntrampel ein römisches Idealbild?«
    »Amor vincit omnia - die Liebe besiegt alles und auch alle Unterschiede«, sagte der Alte und strahlte. »Und es kommt noch besser! Elena lässt mich wieder fröhlich werden, Max hat mir das Leben gerettet. Deswegen möchte ich ihn als Haupterben einsetzen. Mizzi bekommt natürlich eine angemessene Mitgift, denn Max hat mir erzählt, dass sie heiraten will. Ich denke da an eine

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