Ehrenwort
zumute. So wunderbar sich der gestrige Abend auch angelassen hatte, der Schreck am Ende war längst nicht verdaut. Erst Pizza und großes Kino, schließlich Sekt im Bett und ein zärtliches Schäferstündchen - von so viel Glück hätte er vor einigen Wochen gar nicht zu träumen gewagt. Alles war so zauberhaft wie ein blühender Apfelbaum, Jenny duftete frisch wie ein Frühlingstag. Die reine Wonne bis zu jenem Moment, als Max ein ebenso großes wie dilettantisches Tattoo auf ihrem Rücken entdeckte. Er fand es schrecklich, ließ es sich aber nicht anmerken.
»Ein Raubvogel! Ein Adler?«, riet er. »Ein paar starke Schwingen? Bist du eine Schwärmerin und möchtest abheben?«
»Kein Adler«, sagte sie, »ein Falke. Wieder so eine Jugendsünde, die ich mir unbedingt weglasern lassen will.«
»Warum willst du ihn loswerden?«
»Weil er mich an meinen Exfreund Falko erinnert, mit dem ich nie wieder etwas zu tun haben möchte. Zum Glück sehe ich das blöde Federvieh nur im Spiegel.«
Max schlug das Herz bis zum Hals. »Warst du lange mit ihm zusammen?«
Jenny wurde plötzlich ganz steif, rückte von ihm ab und angelte sich ihre Zigarettenpackung.
»Bist du etwa eifersüchtig? Nun hör mir mal gut zu, du bist nicht der Erste, mit dem ich im Bett liege, und bist selbst wahrscheinlich auch kein unbeschriebenes Blatt. Also fang gar nicht erst an, mich auszuquetschen.«
Nach Jennys heftiger Äußerung blieb Max stumm. Von dieser Seite kannte er sie noch nicht; offensichtlich war sie verletzt. Er hätte sie tatsächlich gern nach Strich und Faden ausgehorcht, was es mit ihrer Beziehung zu seinem Erzfeind auf sich hatte. Doch dann müsste er selbst auspacken, wofür es jetzt zu Beginn ihrer Freundschaft noch zu früh war. Später brachte er Jenny nach Hause, und sie verabschiedete sich mit einem innigen Kuss - wieder ganz das sanfte, fröhliche Mädchen, in das er sich verliebt hatte.
Im Übrigen war er jetzt ganz froh, in den Katakomben zu wohnen, denn Jenny hatte darum gebeten, seinen Eltern und möglichst auch sonst keinem etwas zu verraten.
Leider konnte sich Max in dieser Nacht keinen seligen Erinnerungen und Phantasien hingeben, sondern musste immer wieder an Jennys Beziehung zu Falko denken. Immerhin war es nicht erwiesen, dass es sich um denselben Schuft handelte. Max rechnete: Falko war der Vater eines Jungen, den er als Zivi im Heim betreut hatte. Kevin war damals fünfzehn, Falko musste also mindestens fünfunddreißig sein. Vom Alter her konnte es hinhauen, dass Jenny und Falko ein Paar gewesen waren. Allein diese Vorstellung war Max so widerlich, dass er sich am frühen Morgen übergeben musste. Aber es half ja nichts, er musste aufstehen und das Frühstück machen.
Etwas verspätet brachte er seinem Opa das Tablett ins Zimmer. Der Alte hatte bereits die Kopfhörer auf und den Fernseher an. Statt den Morgengruß seines Enkels zu erwidern, fing er sofort an zu granteln: »Nun hör dir das wieder an! Politiker sollten doch über ein Minimum an Bildung verfügen, gerade sprechen drei dieser Deppen über Bonisl«
»Und wie muss es richtig heißen?«
»Junge, du bist lustig! Der Plural von Bonus heißt Boni, da kann man nicht einfach ein S anhängen. Man sagt doch auch nicht Spaghettis ...«
»Doch«, sagte Max, und sein Großvater hielt es für einen Witz und lachte.
»Gleich kommt meine Freundin Elena«, sagte er. »Eine Italienerin würde solche groben Fehler sicherlich nicht machen. Aber sie soll mich nicht wieder kitzeln, das ist ja die reinste Folter!«
Max hatte längst erkannt, dass Elenas Aufheiterungen seinem Opa in Wirklichkeit keineswegs unangenehm waren.
Petra hatte ein permanent schlechtes Gewissen, denn sie wusste immer noch nicht, ob Harald von ihrer Affäre etwas ahnte. Sollte sie Schluss machen mit dem Versteckspiel? Ihrem Lover den Laufpass geben? Ihrem Mann den Fehltritt beichten? Sie beschloss, vorläufig alles beim Alten zu belassen und erst einmal keine folgenschweren Schritte zu unternehmen, die nicht wieder rückgängig zu machen wären. Vielleicht sollte sie auch ihre Haare nicht mehr flammend rot färben, denn Harald gefiel es absolut nicht.
Jedenfalls verließ sie früher als sonst ihren Laden, kaufte unterwegs fürs Abendessen ein und betrat ihr Haus mit gemischten Gefühlen. Muffelige Gesichter bei Mann und Sohn, dabei müsste doch gerade Max Grund zu guter Laune haben. Oder war sein nächtliches Abenteuer nicht ganz nach Wunsch verlaufen? Leider konnte sie ihn nicht
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