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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Doppelhochzeit mit Glanz und Gloria.«

    Harald reichte es. Er ging auf den Balkon und starrte vor sich hin. Waren das gute oder schlechte Nachrichten? Einerseits waren diese Hirngespinste Grund genug für eine Entmündigung, andererseits hatten die Ideen seines Vaters eine - wenn auch völlig verquaste - Logik. Ob er Elena bereits einen Antrag gemacht hatte?
    Eine Doppelhochzeit! Seine wunderschöne Mizzi mit diesem scheußlichen Mannweib Jasmin, sein ehemals kultivierter Vater mit der vulgären Elena! Womöglich alle drei Frauen in blütenweißen Gewändern mit Kränzen auf dem Kopf, und der Alte im hellblauen Fleece-Anzug am Rollator. Da Elena mit Sicherheit eine fromme Katholikin war, würde sie auf einer kirchlichen Trauung bestehen; allerdings musste dann das zweite Paar außen vor bleiben. Harald merkte plötzlich, dass er sich bereits Gedanken um seinen dunklen Anzug machte, der ihm wahrscheinlich zu eng geworden war.
    »Blödsinn!«, sagte er laut. »Das könnte euch so passen!«

10

    Als Max mit mehreren Tüten vom Einkaufen zurückkam, stürzte Harald sofort auf ihn zu.
    »Dein Großvater ist anscheinend total plem-plem geworden«, sagte er.
    »Der ist näher mit dir verwandt als mit mir«, bemerkte Max. »Aber du brauchst nicht gleich auszuflippen, Papa! Wahrscheinlich handelt es sich bei Opa um zeitweilige Durchblutungsstörungen im Hirn, jedenfalls habe ich es so im Internet recherchiert. Deswegen ist er manchmal leicht verwirrt und sucht seine Ilse. Ich denke, es kommt daher, dass er die Oma so vermisst.«
    »Quatsch, meine Mutter war ihm schon immer egal«, sagte Harald. »Stell dir vor, er will wieder heiraten!«
    »Nein!«, rief Max und lachte.
    »Ich mache keine Witze, er hat sich anscheinend in diese schwarze Hexe verliebt, die ihn schon in aller Frühe auf geilt.«
    »Papa, wie kannst du so was sagen! Elena ist keine Hexe, sie ist sehr nett. Übrigens siehst du aus wie Opa, wenn du dich so aufregst!«
    »Danke!«
    »Gern geschehen. Aber bleib mal auf dem Teppich. Falls du Elena für eine Erbschleicherin hältst: Sie hat einen Mann, drei Töchter und sogar schon Enkelkinder. Opa hat dich verarscht.«
    Max fand das zum Brüllen. Um seinen Vater nicht zu sehr durch sein Grinsen zu provozieren, trug er die Einkäufe in die Küche. Doch seine gute Laune verging ihm schnell. Heute musste er nach Dossenheim, um den Sessel des Alten abzuholen, und leider auch nach Heidelberg - es war Zahltermin. Mit Falko war nicht zu spaßen. Zum Glück war es jetzt etwas einfacher für Max geworden, die Termine einzuhalten. Noch schöpfte er aus dem großväterlichen Depot. Früher musste er wöchentlich 100 Euro zusammenkratzen, jetzt konnte er einmal im Monat die gesamte Summe hinblättern.
    Falko war brutal, hatte aber eine Art Ganovenehre und würde in zwei Jahren die endgültige Tilgung akzeptieren und von weiteren Forderungen absehen. Niemals hätte Max sich aus reiner Gutmütigkeit auf krumme Machenschaften einlassen sollen, aber für Reue war es zu spät. Sprüche wie: »Dir fehlt gleich ein Satz Ohren«, oder: »Du kommst heute noch unter die Erde«, hatten ihm Angst eingejagt.
    Falkos Sohn Kevin war einer der Jungen, den er als Zivildienstleistender betreut hatte. Das heißt, Max war damals erst achtzehn und durfte noch keine pädagogische Verantwortung übernehmen. Man setzte ihn hauptsächlich für Boten- und Fahrdienste, im Büro, in der Küche und bei der Essensausgabe ein, er war aber auch für sportliche Freizeitaktivitäten zuständig. Gelegentlich kehrte er gemeinsam mit den Jungen den Hof und die Wege.
    Kevin war ein verstörtes Kind, soweit Max es damals einschätzen konnte; seine Mutter war an Leberzirrhose gestorben, sein Vater saß im Gefängnis. Wahrscheinlich hatte man Kevin wegen der ungünstigen Sozialdiagnose in diesem Heim untergebracht, seine früheren Vergehen waren lässliche Sünden - es handelte sich um Eigentumsdelikte, nicht um Körperverletzung. Max wurde zur Vertrauensperson, er hörte sich Kevins Probleme und Versagensängste an und zog ihn ein wenig den anderen vor. Es tat beiden gut.
    Viele dieser notorischen Schulschwänzer hatten ihre liebe Not damit, den Hauptschulabschluss zu schaffen. Auch Kevin hatte gigantische Defizite, und Max gab ihm regelmäßig Nachhilfeunterricht. Da Max selbst ein schlechter Schüler gewesen war, konnte er sich gut in seinen Schützling einfühlen und gab sich Mühe, ihm auf unkonventionelle Weise auf die Sprünge zu helfen. Nie hätte er gedacht,

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