Ehrenwort
vorbei.
»Es hat doch alles sein Gutes«, sagte Harald. »Seinen Opa wird Max nicht im Stich lassen, da fühlt er sich voll verantwortlich. So steht das Haus wenigstens nicht leer.«
»Ich glaube, ich habe meine Sonnenbrille vergessen«, murmelte Petra plötzlich und wühlte in ihrer Handtasche. Hatte sie nicht gerade die Stimme des Erpressers gehört? Seltsamerweise klang die hier draußen genauso verzerrt wie am Telefon. Petra sah sich vorsichtig um und entdeckte hinter Haralds Rücken ihren ehemaligen Romeo, der drei Tische weiter mit seiner Familie an einem Tischchen saß. Sie lauschte angestrengt, und tatsächlich machte der jüngere Sohn erneut den Mund auf. Jetzt war sie sich sicher: Das war er.
»Was starrst du so gebannt über mich hinweg?«, fragte Harald und drehte sich um.
»Ach nichts, mir war so, als sähe ich eine Kundin«, stotterte Petra. Falls ihr Verdacht richtig war, ergab sich eine völlig neue Perspektive.
»Klar«, meinte Harald, »du kennst schließlich die halbe Stadt, mir geht es nicht anders. Zum Beispiel sitzt drei Tische weiter - schräg hinter mir ein junger Mann im rosa Hemd. Aber guck jetzt nicht so auffällig hin! Der macht bei uns eine Ausbildung zum Verwaltungswirt, der Vater ist Lehrer am Gymnasium. Netter, fleißiger Junge, Max sollte sich ein Beispiel an ihm nehmen.«
Petra schob den Stuhl zurück, flüsterte, sie müsse mal und begab sich ins Lokal. Beim Herauskommen hatte sie den bewussten Tisch besser im Blick. Sie kannte weder Jupiters Frau noch seine beiden Söhne und war auf einmal wahnsinnig neugierig. Endlich konnte sie seine heilige Familie aus nächster Nähe betrachten! Und sie konnte es nicht lassen, ihren früheren Lover ein wenig zu provozieren. Auf dem Rückweg verfehlte sie absichtlich den eigenen Tisch, streifte den Stuhl der fremden Frau und sagte gut hörbar: »Sony, aber Jupiter ging permanent fremd.«
Wie auf ein Stichwort wurde der Treulose krebsrot, sprang hoch und zischte wütend: »Was erlauben Sie sich!«
Seine Frau blickte verwirrt in die Runde, doch Petra saß längst wieder neben ihrem Harald. Der nette, junge Mann aber zeigte ihr über drei Tische hinweg den Stinkefinger. Harald hatte von alldem nichts mitgekriegt und schlug vor, im Sommer öfters ein Bierchen zusammen zu trinken.
Jupiters Sohn also! Der hatte wohl gerüchteweise gehört, dass ausgerechnet Haralds Freund den Zuschlag für den Bau der Tiefgarage bekommen hatte. Wenn er vom Verhältnis seines Vaters zu der Buchhändlerin Knobel ebenfalls Wind bekommen hatte, gab er womöglich Petra die Schuld an der Trennung seiner Eltern und wollte ihr eins auswischen. Die Anrufe galten demnach gar nicht dem Leiter des städtischen Tiefbauamtes, sondern ihr!
Bis zu ihrer Buchhandlung war es nicht weit. Auf dem Rückweg versuchte Petra, sich die Frau ihres Liebhabers in Erinnerung zu rufen, aber sie sah nur ein kariertes Kleid vor sich und kein Gesicht. Ich bin eine blöde Kuh, dass ich auf Jupiter reingefallen bin, und sie ist es auch, sagte sich Petra und schloss die Ladentür auf.
Als Max dem Großvater das Abendessen bringen wollte, rief dieser: »Noll turbare circulos meos!«
Max bekam einen Schrecken, sollte der Alte schon wieder spinnen? Aber der lachte bloß, übersetzte den Spruch - Störe meine Kreise nicht - und erklärte, dass er ein neues Testament aufsetzen und dabei nicht unterbrochen werden wolle.
»Nicht zu deinem Schaden!«, sagte er geheimnisvoll und schob ein Blatt Papier unter sein Kopfkissen. Na gut, dachte Max, spätestens wenn er im Bad ist, kann ich einen Blick darauf werfen. Dann werden wir ja sehen, ob er wieder spinnt.
Der Großvater hatte sein Brot eben fertig gemummelt, als Heidi, eine etwas wehleidige Pflegerin von der gewichtigen Sorte, eintrat. Sie wackelte mit dem Alten ins Badezimmer, und Max schnappte sich das neue Testament.
Meinem Enkelsohn Max Knobel vermache ich für treue Dienste mein...
Mehr hatte der Alte noch nicht geschrieben, schade. Max legte das Papier wieder unters Kissen. Das neue Testament konnte alles oder nichts beinhalten. Vielleicht vermachte ihm Opa noch mehr alte Schwarten oder einen der guten Anzüge mit Mottenlöchern. Aber wie wäre es mit: Mein gesamtes Vermögen? Wahrscheinlich war das bloß ein Wunschtraum, denn seinem Vater und seiner Tante würde als den nächsten Angehörigen zumindest der Pflichtteil zustehen. Lieber keine falschen Hoffnungen, sagte sich Max und schwang sich ins Auto, um dem Elternhaus für einige
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