Ehrenwort
Stunden den Rücken zu kehren.
22
Sollte sie den Stier bei den Hörnern packen und dem Erpresser einen geharnischten Brief schreiben?, überlegte Petra unterdessen. Bei ihrem sanftmütigen Max hatte sie sich nie richtig getraut, ein gewaltiges Donnerwetter loszulassen. Vielleicht glückte es bei dem fiesen Sohn ihres Ex-Lovers.
Doch ein Brief konnte jederzeit in falsche Hände geraten, als Beweisstück auf dem Tisch der Eltern landen und vor allem die versöhnungsbereite Mutter in Konflikte stürzen. Außerdem könnte der Sohn alles abstreiten, und die fremde Familie würde diesen Brief als Rachefeldzug einer abgehalfterten, hysterischen Geliebten abtun.
Die Nummer des Erpressers war schnell ermittelt. Er wohnte in der Fußgängerzone, aha! - nicht weit von ihrem Laden. Am Abend, als Max im Kino war und Harald vor dem Fernseher saß, zog sie sich zum Telefonieren ins Schlafzimmer zurück.
»Hier ist Petra Knobel, die Sie bereits zweimal angerufen und bedroht haben«, begann sie und wartete, denn am anderen Ende hörte sie nur ein verhaltenes Atmen.
»Was wollen Sie eigentlich? Ich kenne Sie nicht und weiß nicht, wovon Sie reden«, antwortete schließlich eine unsichere, aber bekannte Stimme.
»O doch«, sagte Petra. »Und Sie irren sich gewaltig, wenn Sie meinen, dass ich die Ehe Ihrer Eltern zerstört hätte. Die hatten sich nämlich schon lange nicht mehr vertragen. Außerdem ist die Affäre längst vorbei.«
»Sie reden Unsinn...«, sagte der junge Mann.
»Nein, jedes Wort ist wahr. Ich nehme an, Ihre Mutter hat keine Ahnung von meiner kurzen Beziehung zu Ihrem Vater. Es wäre doch zu schade, wenn sie jetzt noch davon erführe. Falls Sie also weiter versuchen, mich oder meine Familie zu terrorisieren, lasse ich die Bombe platzen und zeige Sie an. Und glauben Sie mir, ich werde dafür sorgen, dass Sie sich schleunigst nach einem neuen Ausbildungsplatz umsehen müssen!«
»Sie können mir gar nichts beweisen«, stotterte der verunsicherte Junge. Petra legte auf und war sehr zufrieden mit sich. Diesem saudummen Schnösel hatte sie hoffentlich endgültig das Maul gestopft. Wenn sie doch nur einmal dazu fähig wäre, ihre mütterliche Autorität derart effektiv beim eigenen Sohn einzusetzen!
Als organisatorisch erfahrene Haus- und Geschäftsfrau hatte Petra sich bereits schlaugemacht, wie und wo man eine Ausbildung zum staatlich geprüften Altenpfleger beginnen konnte. Am Ende der praktischen und theoretischen Schulung musste eine Prüfung in Gerontologie, Alten- und Krankenpflege, Aktivierung und Rehabilitation, Gesundheits-, Krankheits- und Arzneimittellehre sowie in Psychiatrie abgelegt werden. Ob das wirklich das Richtige für ihren Max war? Immerhin schien ihm ein praxisbezogener sozialer Beruf mehr zu liegen als das Büffeln an einer Universität. Oder war ihr Sohn bereits im Gymnasium überfordert gewesen, und Harald und Petra hatten eher ihre eigenen Wünsche als das Glück ihres Kindes verwirklichen wollen?
Andererseits - Max war doch kein Dummkopf! Wenn ihr Schwiegervater nicht in ihrem Haus gelandet wäre, hätte sich ihr Sohn niemals für den Beruf eines Altenpflegers erwärmt. Im Grunde war der Alte an allem schuld. Er musste aus dem Haus, in ein Heim, dann war endlich Ruhe im Karton. Wenn Harald und Max angeln gingen, konnte Petra endlich eine Razzia im Zimmer ihres Sohnes durchführen und herausfinden, ob dort tatsächlich Drogen gebunkert wurden, wie Harald befürchtete.
Der Angelausflug an den See wurde für das übernächste Wochenende geplant; Max war nicht gerade begeistert vom Angebot seines Vaters gewesen. Ob er nicht lieber mit der Mutter angeln wolle, hatte er gefragt, die esse doch gern Fisch. Aber Petra hatte abgewinkt: eine Hütte ohne Spülmaschine, ein Dorf ohne Geschäfte, wahrscheinlich ein Strohsack als Matratze - nein, danke! Also hatte Max ergeben zugestimmt, er wollte seinem Papa ja nicht den Spaß verderben.
Seit er sechzehn war, musste Max sein Zimmer selbst aufräumen und putzen. Im Gegenzug verbat er sich das elterliche Betreten seiner Höhle. Auch für alle bisherigen und künftigen Haushaltshilfen galt absolute Eintrittssperre. Vielleicht war das ein Fehler, dachte Petra. Wenn ein Jugendlicher jahrelang über ein sturmfreies Zimmer verfügte, dann eignete es sich ausgezeichnet als Drogendepot. Am Ende trafen sich Dealer und Abnehmer ungeniert hier im Haus, wurden durch die Garage eingeschleust, und die arglosen Eltern hatten keine Ahnung von dem Treiben.
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