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Ehrenwort

Titel: Ehrenwort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ingrid Noll
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Biedermann und die Brandstifter, seufzte sie.
    Bei dieser Horrorvorstellung wollte Petra gar nicht mehr bis zum Angelwochenende warten, sondern möglichst schnell eine gründliche Durchsuchung vornehmen. Die Gelegenheit ergab sich schon bald, denn Max pflegte mehrmals in der Woche ins Kino zu gehen.
    Als Petra mit schlechtem Gewissen die Tür aufmachte, kam ihr auf den ersten Blick alles erstaunlich aufgeräumt und sauber vor. Natürlich hatte sie das Zimmer ihres Sohnes dann und wann betreten, aber nur, wenn sie ihn dort vermutete. Nicht immer hatte es so gepflegt gewirkt wie jetzt, wahrscheinlich wegen Jenny.
    In den Schubladen oder zwischen der Wäsche lagerten keine Plastiktütchen mit weißem Pulver oder anderen verdächtigen Substanzen. Selbst in uralten leeren Filmdosen steckte kein Haschisch, ebenso ließen sich keine dubiosen Pillen in Jackentaschen und Schuhen entdecken. Nur Präservative waren in ausreichender Menge vorhanden, was Petra mit einer gewissen Erleichterung feststellte. Ein aufgeschlagenes Lehrbuch für Altenpflege lag auf dem Sessel. Offenbar brauchte man sich in Sachen Drogen keine Sorgen um den Sohn zu machen, dachte sie, Harald war manchmal übertrieben ängstlich.
    Bevor Petra das Zimmer verließ, schaute sie noch rasch unters Bett. Eine schwere Eisenstange? Wofür brauchte Max einen Totschläger? Kurz entschlossen legte sie sich auf den abgewetzten Perser, um noch genauer in den dunklen Bereich spähen zu können. Von dort fischte sie einen weiteren Gegenstand hervor: eine Schusswaffe.
    Vor Schreck kam Petra kaum wieder in die Höhe und musste sich erst einmal setzen, der Mund wurde plötzlich trocken, das Herz flatterte. Der kleine Max, fast noch ein Kind, der keiner Fliege etwas zuleide tun konnte, den Wehrdienst verweigert hatte und Gewalt und Krieg verabscheute, versteckte eine Pistole - oder war es ein Revolver? - unter seinem Bett! Waffenhandel? Wurde er bedroht und musste sich verteidigen? Er war womöglich in Todesgefahr!

    Nachts hatte Petra einen Albtraum. Derselbe Falko, der schon einmal bei ihnen eingebrochen war, schlich sich, als Harald und Max am See weilten, im Schutz der Dunkelheit in die Garage. Aber diesmal benutzte er keine Treppe, blieb im untersten Geschoss und machte sich im Zimmer ihres Sohnes zu schaffen. Petra hörte verdächtige Geräusche, huschte leise ins Souterrain hinunter und überraschte den Eindringling, wie er die Matratze ihres Sohnes mit einem Messer aufschlitzte. In diesem Moment mutierte Petra zur Löwenmutter, die mit allen Mitteln ihr Junges verteidigt.
    In Träumen geschehen manchmal Wunder. Ohne sich bücken zu müssen, hielt Petra plötzlich die Waffe in der Hand, zielte und drückte ab. Knall, Fall! Schon lag Falko am Boden, mausetot.
    Harald wurde wach, weil seine Frau entsetzlich schrie, herumfuchtelte und ihn dabei traf. Behutsam weckte er die Träumerin und hörte sich geduldig ihre verworrene Geschichte an.
    »Ich werde gleich wieder weiterschlafen«, schluchzte Petra, »und im Traum den Toten entsorgen müssen, aber ich weiß wirklich nicht, wohin damit...«
    Harald machte das Licht an und strich seiner Frau über die schweißnasse Stirn.
    »Kein Problem«, sagte er, ohne eine Miene zu verziehen. »Du kennst doch den Kanalschacht in der Tiefgarage? Der wird in den nächsten Tagen zugeschüttet, da ist noch viel Platz für die eine oder andere Leiche. Du weißt ja - dem Inschenjör ist nichts zu schwör, sagt Jürgen immer.«
    Petra war besänftigt und schlief in den Armen ihres praktischen Mannes wieder ein.
    Am nächsten Morgen suchte sie im Internet ein Gedicht von Heinrich Seidel, kürzte es, druckte es aus und legte es dankbar neben Haralds Kaffeetasse.

    Dem Ingenieur ist nichts zu schwer!
    Er überbrückt die Flüsse und das Meer.
    Er türmt die Bögen in die Luft,
    er wühlt als Maulwurf in der Gruft,
    kein Hindernis ist ihm zu groß, er geht drauf los.
    Was durch die Länder donnernd saust
    und durch die fernen Meere braust,
    das alles schafft und noch viel mehr
    der Ingenieur.

23

    Währenddessen grübelte der Alte über ganz anderen Problemen: Zu Hause hatte er ein altersgerechtes Telefon besessen. Er konnte die Lautstärke einstellen und die übergroßen Zahlen auf der Drehscheibe nach bewährter Methode rotieren lassen. Hier, im Haus seines Sohnes, gab es zwar einen mobilen Apparat, den Max ihm bei Bedarf brachte, aber der alte Mann konnte nicht damit umgehen. Als seine Tochter aus Australien anrief, verstand er kein

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