Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
für nicht als schwere Verbrechen definierte Straftaten. Auf alle Verbrechen, die in den Punkten 1 bis 12 angeführt waren, stand die Todesstrafe. (Das Gesetz von 1950, nach dem Eichmann abgeurteilt wurde, spezifiziert, daß die sonst geltenden Bestimmungen über Verjährung und den Grundsatz der res judicata keine Anwendung finden – zum letzteren heißt es in Artikel 9: »Wer eine nach diesem Gesetz strafbare Handlung begangen hat, kann in Israel nochmals vor Gericht gestellt werden, auch wenn im Ausland bereits wegen derselben Handlung ein Verfahren gegen ihn stattgefunden hat, sei es vor einem internationalen Gerichtshof oder vor dem Gericht eines auswärtigen Staates. «)
Eichmann hatte, wie man sich erinnern wird, hartnäckig daran festgehalten, bei der Begehung der Verbrechen, deren er angeklagt war, nur »Beihilfe und Vorschub« geleistet, aber selbst nicht gemordet zu haben. Das Urteil berücksichtigte, wie man mit Erleichterung feststellte, daß die Anklage ihn in diesem Punkt nicht hatte widerlegen können. Denn dies war ein wichtiger Punkt; er rührte an das eigentliche Wesen dieses Verbrechens, das kein gewöhnliches Verbrechen war, an die wahre Natur dieses Verbrechers, der kein gewöhnlicher Verbrecher war; das Urteil nahm implizite auch Kenntnis von der unheimlichen Tatsache, daß es in den Todeslagern für gewöhnlich die Insassen und die Opfer gewesen waren, die tatsächlich »das Mordwerkzeug mit eigenen Händen« geführt hatten. Was das Urteil über diesen Punkt zu sagen hatte, war mehr als korrekt, es war die Wahrheit:
»Falls wir seine Handlungen in der Sprache des Paragraphen 23 unseres Strafkodex kennzeichnen wollen, so waren alle in ihrem Wesen Anstiftungshandlungen, Erteilung von Ratschlägen und Anweisungen an andere wie auch Hilfeleistungen an andere oder Ermöglichung der Handlungen anderer. Aber in diesem gigantischen und weitverzweigten Verbrechen, das vor uns zur Behandlung steht, an dem viele Personen in verschiedenen Befehlsstufen und in verschiedenen Tätigkeitsausmaßen teilgenommen haben – Planentwerfer, Organisatoren und die verschiedenen Rangordnungen angehörenden Ausführungsorgane –, ist es nicht zweckmäßig, die üblichen Begriffe des Anstifters und Gehilfen in Anwendung zu bringen. Die gegenständlichen Verbrechen sind ja Massenverbrechen, nicht nur, was die Zahl der Opfer anlangt, sondern auch in bezug auf die Anzahl der Mittäter, so daß die Nähe oder Entfernung des einen oder des anderen dieser vielen Verbrecher zu dem Manne, der das Opfer tatsächlich tötet, überhaupt keinen Einfluß auf den Umfang der Verantwortlichkeit haben kann. Das Verantwortlichkeitsausmaß wächst vielmehr im allgemeinen, je mehr man sich von demjenigen entfernt, der die Mordwaffe mit seinen Händen in Bewegung setzt. « (Hervorhebung der Autorin.)
Nach der Urteilsverlesung erhob sich wieder der Staatsanwalt, um in einer weitschweifigen Rede die Todesstrafe zu fordern, die dem Gesetz zufolge, da keine mildernden Umstände vorlagen, ohnehin obligatorisch war, während Dr. Servatius sich noch kürzer faßte als zuvor: der Angeklagte habe »Befehle des Staates« ausgeführt und sei an »Regierungsverbrechen« beteiligt gewesen. Was ihm geschehen sei, könne in Zukunft jedermann geschehen, die ganze Welt stehe vor diesem Problem. Eichmann sei »der Sündenbock, den man entgegen dem Völkerrecht diesem Gericht zur Aburteilung belassen« habe, um sich selbst der Verantwortung zu entziehen. Die Zuständigkeit des Gerichts – von Dr. Servatius niemals anerkannt – könne man höchstens im Sinne der Äußerung eines deutschen Staatsanwalts, der hauptsächlich mit der Ermittlung der Kriegs- und Menschlichkeitsverbrechen beauftragt ist, konstruieren und annehmen, »daß das israelische Gericht in stellvertretender Rechtspflege über den Angeklagten zu Gericht sitze«. Dr. Servatius hatte früher beantragt, »das Verfahren einzustellen und den Angeklagten außer Verfolgung zu setzen«, da nach der Rechtslage in Argentinien »die Strafverfolgung für alle Taten, die ihm hier vorgeworfen werden, bereits infolge Verjährung ausgeschlossen [ist]. – Die Verjährung war … am 5. 5. 1960 eingetreten, das ist kurze Zeit vor der Entführung«; jetzt führte er im gleichen Sinne aus, es dürfe keine Todesstrafe ausgesprochen werden, da die Todesstrafe in Deutschland ohne Einschränkungen abgeschafft worden sei und die Strafe nicht über »das Strafmaß des vertretenen Landes hinausgehen«
Weitere Kostenlose Bücher