Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)

Titel: Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hannah Arendt
Vom Netzwerk:
deutsche Gerichte noch immer nicht die notwendige »Objektivität«, um Fälle wie den seinen zu behandeln. Aber wenn er lieber vor ein israelisches Gericht gestellt werden wollte – was er gewissermaßen andeutete und was nicht einmal völlig unmöglich ist angesichts seiner kuriosen Einstellung zu Juden und vor allem zu Zionisten und seiner Vorstellungen von einem Frieden mit seinen ehemaligen Gegnern –, so hätte er der israelischen Regierung viel Zeit und Mühe sparen können. Wir haben bereits gesehen, daß diese Art von Gerede ihm erhebende Gefühle verschaffte, und tatsächlich hielt es ihn während seiner ganzen Gefängniszeit in Israel in einer Verfassung, die an gute Laune grenzte. Es befähigte ihn sogar, mit bemerkenswertem Gleichmut dem Tode entgegenzusehen – »ich weiß, daß mir die Todesstrafe bevorsteht«, erklärte er gleich zu Beginn des Polizeiverhörs.
    Ein Kern von Wahrheit steckte hinter dem leeren Gerede und kam zum Vorschein, als das Problem, wer sein Verteidiger sein sollte, akut wurde. Aus naheliegenden Gründen hatte die israelische Regierung sich für die Zulassung eines ausländischen Anwalts entschieden, und am 14. Juli 1960, sechs Wochen nachdem mit ausdrücklicher Zustimmung Eichmanns das Polizeiverhör begonnen hatte, wurde ihm mitgeteilt, daß er für seine Verteidigung unter drei Anwälten wählen könne – Dr. Robert Servatius, den seine Familie empfahl (Servatius hatte Eichmanns Stiefbruder in Linz seine Dienste in einem Ferngespräch angeboten), ein zweiter, jetzt in Chile ansässiger deutscher Anwalt und eine amerikanische Anwaltsfirma in New York, die sich mit den Gerichtsbehörden in Verbindung gesetzt hatte. (Nur der Name von Dr. Servatius wurde der Presse mitgeteilt.) Es gäbe sicherlich noch andere Möglichkeiten, die zu untersuchen ihm freistünde, auch könne er sich, wie man ihm verschiedentlich sagte, Zeit lassen. Er tat jedoch nichts dergleichen, sondern sagte augenblicklich, am liebsten würde er Dr. Servatius beauftragen, der ein Bekannter seines Stiefbruders zu sein scheine und außerdem schon andere Kriegsverbrecher verteidigt habe, und er bestand darauf, die erforderlichen Papiere sofort zu unterzeichnen. Aber »wenn dieser Prozeß … materiemäßig eine globale Form nimmt«, fiel ihm eine halbe Stunde später ein, »so könnte es sein, daß es ein … Monsterprozeß werden könnte«, die Anklage würde sicherlich von verschiedenen Staatsanwälten vertreten werden, und er fragte, »ob in diesem Fall ein einziger Verteidiger die Materie überhaupt verkraften kann«. Man wies ihn darauf hin, daß Servatius in seinem Antrag, als Anwalt vor dem Jerusalemer Bezirksgericht zugelassen zu werden (was auf Grund einer Abänderung des Anwaltsgesetzes durch die Knesseth ermöglicht worden war), geschrieben habe, er werde »eine Gruppe von Anwälten führen«, und der Polizeioffizier fügte hinzu: »Es ist doch anzunehmen, daß Dr. Servatius nicht allein erscheinen wird. Das wäre ja schon eine physische Unmöglichkeit.« Aber wie sich ergab, erschien Dr. Servatius den größten Teil der Zeit ganz allein, mit dem Resultat, daß Eichmann zum wichtigsten Assistenten seines eigenen Verteidigers wurde und – ganz ab gesehen von der Abfassung von Büchern »für künftige Generationen« – den ganzen Prozeß hindurch sehr hart arbeitete.
    Am 29. Juni 1961, zehn Wochen nach der Eröffnung des Prozesses am 11. April, schloß die Anklage ihre Beweisaufnahme ab, und Dr. Servatius eröffnete die Verteidigung; am 14. August, nach 114 Sitzungen, war das Hauptverfahren abgeschlossen. Das Gericht vertagte sich dann für vier Monate und trat am 11. Dezember zur Urteilsverkündung wieder zusammen. Durch zwei in fünf Sitzungen unterteilte Tage verlasen die drei Richter die 244 Paragraphen des Urteils. Sie ließen den von der Anklage vorgebrachten Vorwurf der »Konspiration«, der Eichmann zu einem »Hauptkriegsverbrecher« machte, der für alles, was mit der »Endlösung« zusammenhing, automatisch haftete, fallen, sprachen ihn aber dann in allen 15 Anklagepunkten mit gewissen Einschränkungen schuldig. »Zusammen mit anderen« hatte er Verbrechen »gegen das jüdische Volk« begangen, das heißt, er hatte Verbrechen an Juden begangen, »in der Absicht, das jüdische Volk zu vernichten«, und zwar: »(1) indem er die Tötung von Millionen von Juden zum Zwecke der Durchführung … der ›Endlösung der Judenfrage‹ verursacht hat«, »(2) indem er für Millionen von Juden solche

Weitere Kostenlose Bücher