Eichmann in Jerusalem: Ein Bericht von der Banalität des Bösen (German Edition)
Lebensverhältnisse herbeigeführt hat, die dazu angetan waren, ihre physische Vernichtung zu verursachen«, »(3) indem er ihnen schweren körperlichen und seelischen Schaden zugefügt hat« sowie (4) »indem er Geburtenverbot und Schwangerschaftsunterbrechung bei den jüdischen Frauen im Getto Theresienstadt anordnete«. Die Richter sprachen ihn jedoch, soweit sich diese Anklagepunkte auf die Zeit vor dem August 1941 (als er über den Führerbefehl informiert wurde) bezogen, von diesen Verbrechen frei – seine frühere Tätigkeit in Berlin, Wien und Prag habe er nicht in der Absicht ausgeführt, »das jüdische Volk zu vernichten«. Soweit die richterliche Entscheidung zu den ersten vier Punkten der Anklageschrift. Die Anklagepunkte 5 bis 12 befaßten sich mit »Verbrechen gegen die Menschheit« – ein seltsamer Begriff im israelischen Recht, in sofern er einmal Völkermord an nichtjüdischen Völkern (wie Zigeunern oder Polen) einbezieht, dann aber auch alle anderen an Juden oder Nichtjuden begangenen Verbrechen, vorausgesetzt, sie wurden nicht mit dem Vorsatz begangen, das Volk als Ganzes auszurotten. So wurden alle Straftaten, die Eichmann vor dem Führerbefehl begangen hatte, mit allen seinen Handlungen gegen Nichtjuden in eins zusammengezogen als Verbrechen gegen die Menschheit, wozu dann noch einmal alle seine späteren Verbrechen gegen Juden addiert wurden, da diese nicht nur Verbrechen am jüdischen Volk, sondern auch gewöhnliche Verbrechen waren. Das Ergebnis war, daß Punkt 5 ihn der gleichen Straftaten überführte, die in den Punkten 1 und 2 aufgezählt waren, und daß Punkt 6 ihn überführte, »Juden aus nationalen, rassischen, religiösen und politischen Gründen verfolgt« zu haben. Punkt 7 betraf den »Raub des Vermögens von Millionen Juden unmittelbar vor [ihrer] Ermordung«; und Punkt 8 faßte alle diese Straftaten noch einmal als »Kriegsverbrechen« zusammen, da die meisten von ihnen »während des Zweiten Weltkrieges begangen wurden«. Die Anklagepunkte 9 bis 12 befaßten sich mit Verbrechen gegen Nichtjuden: Punkt 9 überführte ihn der »Deportation von Hunderttausenden Polen von ihren Wohnsitzen«; Punkt 10 der »Deportation … von mehr als 14 000 Slowenen von ihren Wohnsitzen«; Punkt 11 der Deportation »von vielen Zehntausenden von Zigeunern« nach Auschwitz. Aber das Urteil kam merkwürdigerweise zu dem Schluß, daß »uns nicht bewiesen wurde, daß dem Angeklagten bekannt war, daß die Zigeuner zur Vernichtung transportiert wurden« – und das hieß, daß mit Ausnahme des Schuldspruchs wegen der »Verbrechen gegen das jüdische Volk« keine Verurteilung wegen Völkermords ausgesprochen wurde. Das war schwer zu verstehen, nicht nur weil die Ausrottung der Zigeuner allgemein bekannt war, sondern auch weil Eichmann im Polizeiverhör zugegeben hatte, davon gewußt zu haben; seiner Erinnerung nach hätte es dafür einen Himmler-Befehl gegeben, »Richtlinien« wie für Juden hätten für die Zigeuner nicht existiert, auch seien sie »von keiner Sparte des Reichssicherheitshauptamtes irgendwie, sagen wir mal, sachlich bearbeitet worden, also darunter möchte ich mal verstehen – ihr Ursprung, Herkommen, Sitten, Gebräuche«. Sein Amt war beauftragt worden, die »Abschiebung« von 30 000 Zigeunern aus dem Reichsgebiet zu erledigen, an Einzelheiten konnte er sich nicht mehr erinnern, weil es von keiner Seite irgendwelche Interventionen gegeben hatte; aber daß die Zigeuner ebenso wie die Juden abtransportiert wurden, um umgebracht zu werden, daran hatte er nie gezweifelt. Er hatte also bei der Vernichtung der Zigeuner genau die gleiche Rolle gespielt wie bei der Vernichtung der Juden. Punkt 12 betraf die Deportation von 93 Kindern aus Lidire, dem tschechischen Dorf, dessen Einwohner nach dem Attentat auf Heydrich massakriert worden waren; er mußte jedoch von der Ermordung dieser Kinder freigesprochen werden, da sich herausstellte, daß sie vermutlich noch am Leben sind. Die letzten drei Anklagepunkte beschuldigten ihn der Zugehörigkeit zu drei von den vier in Nürnberg als »verbrecherisch« klassifizierten Organisationen – zur SS, zum Sicherheitsdienst oder SD und zur Geheimen Staatspolizei oder Gestapo. (Die vierte dieser Organisationen, das Korps der Politischen Leiter der NSDAP, blieb unerwähnt, da Eichmann unleugbar nicht zu den Führern der Partei gehört hatte.) Seine Mitgliedschaft zu diesen Organisationen vor dem Mai 1940 fiel unter die Verjährungsfrist von zwanzig Jahren
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